AG Künzelsau (Az.: 1 C 231/23): Übernahme der Deckungskosten für Berufung in einer Datenschutzklage

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Das Urteil des Amtsgerichts Künzelsau vom 12. April 2024 stellt einen bedeutenden Erfolg für Versicherungsnehmer dar, die gegen Datenschutzverletzungen vorgehen und dabei auf die Unterstützung ihrer Rechtsschutzversicherung angewiesen sind. Das Gericht entschied, dass die Versicherung verpflichtet ist, der Klägerin, die durch ein Datenleck personenbezogene Datenverluste erlitten hat, den Deckungsschutz für die Berufung zu gewähren. Dabei bestätigte das Gericht die Notwendigkeit, die Kostenübernahme für die Prozessführung sicherzustellen, wenn die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung gegeben sind. Die Versicherung wurde außerdem verurteilt, die Kosten für den Stichentscheid zu übernehmen, der zur Bewertung der Erfolgsaussichten in der zweiten Instanz eingeholt wurde.

Sachverhalt und Hintergrund des Verfahrens

Die Klägerin war seit 2008 bei der Rechtsschutzversicherung der Beklagten versichert. Im Jahr 2021 wurden durch ein Datenleck bei der Meta Platforms Ireland Ltd. (Betreiberin der Plattform Facebook) ihre personenbezogenen Daten veröffentlicht und an unbefugte Dritte weitergeleitet. Die Klägerin reichte daraufhin beim Landgericht Heilbronn Klage auf Schadensersatz, Unterlassung und Auskunft gegen Meta ein. In erster Instanz wurde der Klägerin ein Schadensersatz in Höhe von 150 Euro zugesprochen, weniger als die geforderten 1.000 Euro.

Da die Klägerin ihren vollständigen Schadensersatzanspruch geltend machen wollte, beantragte sie bei ihrer Versicherung Deckungsschutz für die Berufung. Die Beklagte gewährte diesen jedoch nur teilweise und begrenzte den Betrag auf 400 Euro, mit der Begründung, dass eine weitergehende Summe keine ausreichenden Erfolgsaussichten habe. Da die Klägerin anderer Meinung war, ließ sie durch ihre Anwälte ein Gutachten, den sogenannten Stichentscheid, erstellen. Dieser kam zum Ergebnis, dass die vollständige Forderung über 1.000 Euro hinreichende Erfolgsaussichten aufweist.

Entscheidungsgründe des Gerichts

Das Amtsgericht Künzelsau gab der Klägerin in wesentlichen Punkten Recht und entschied, dass die Rechtsschutzversicherung zur Deckungszusage und Kostenübernahme für die Berufung verpflichtet ist. Die wichtigsten Entscheidungsgründe waren:

  1. Erfolgsaussichten für den vollständigen Schadensersatzanspruch: Das Gericht folgte dem Gutachten und bestätigte, dass die Berufung hinreichende Erfolgsaussichten habe. Nach Ansicht des Gerichts sei es vertretbar, dass die Klägerin die 1.000 Euro Schadensersatz fordere, da vergleichbare Beträge in ähnlichen Fällen bereits zugesprochen wurden. Damit wurden die Argumente der Versicherung zurückgewiesen, die den Erfolg für den Betrag über 400 Euro als zu gering einschätzte.
  2. Bindungswirkung des Stichentscheids: Obwohl das Gericht die Frage der Bindungswirkung des Stichentscheids offenließ, entschied es dennoch, dass die Versicherung zur Erstattung der Kosten verpflichtet ist. Laut § 18 Abs. 6 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (ARB) der Beklagten sind die Kosten für einen Stichentscheid in jedem Fall vom Versicherer zu tragen, unabhängig davon, ob die Versicherung das Gutachten für bindend hält oder nicht.
  3. Pflicht zur Kostenerstattung ohne Einschränkungen: Das Gericht hob hervor, dass die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten keine Einschränkungen bezüglich der Übernahme der Kosten für den Stichentscheid vorsehen. Die Formulierung „in jedem Fall“ mache deutlich, dass die Versicherung diese Kosten übernehmen muss, selbst wenn sie die inhaltliche Qualität oder die Schlüssigkeit des Gutachtens in Frage stellt. Das Gericht verwies hierbei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die besagt, dass der Versicherer in jedem Fall verpflichtet ist, die Kosten für den Stichentscheid zu übernehmen, um dem Versicherten eine faire Prüfung seiner Ansprüche zu ermöglichen.
  4. Versicherungsschutz und Schutz der Versicherungsnehmerrechte: Das Gericht betonte, dass Versicherungsnehmer im Rahmen ihres Versicherungsvertrages Anspruch auf Rechtsschutz und umfassende Unterstützung ihrer Rechtsschutzversicherung haben, insbesondere wenn sie gegen Datenschutzverletzungen oder andere Eingriffe in ihre persönlichen Rechte vorgehen. Die umfassende Kostenübernahme durch die Versicherung gewährleistet, dass die Versicherten ihre Ansprüche ohne finanziellen Druck geltend machen können und nicht durch die Einschränkungen der Versicherungsbedingungen benachteiligt werden.

Bedeutung des Urteils und Signalwirkung

Dieses Urteil stärkt die Rechte von Versicherungsnehmern, die sich auf Rechtsschutz gegen Datenschutzverletzungen verlassen. Es verdeutlicht, dass Rechtsschutzversicherungen keine formalistischen Hürden für die Kostenübernahme aufstellen können, wenn berechtigte Erfolgsaussichten bestehen. Für die Versicherungsnehmer bedeutet dies, dass sie bei Datenlecks oder anderen Verletzungen ihrer Datenschutzrechte mit einer umfassenden Deckung und Kostenübernahme durch die Versicherung rechnen können, sofern die Klage nachvollziehbar und vertretbar ist.

Die Entscheidung verdeutlicht zudem, dass die Einholung eines Stichentscheids nicht nur der Bewertung durch die Versicherung dient, sondern eine faire und unabhängige Prüfung der Erfolgsaussichten sicherstellt. Das Urteil stellt somit einen Präzedenzfall für zukünftige Streitigkeiten über Datenschutzverletzungen dar und stärkt das Vertrauen der Versicherten in die Leistungsfähigkeit ihrer Rechtsschutzversicherung.

Fazit

Das Amtsgericht Künzelsau hat mit diesem Urteil einen wichtigen Beitrag zur Klarstellung der Rechte von Versicherungsnehmern in Datenschutzklagen geleistet. Versicherungen müssen eine faire Prüfung der Erfolgsaussichten sicherstellen und dürfen die Deckung nicht ohne hinreichende Begründung verweigern. Die Übernahme der Stichentscheid-Kosten bietet den Versicherten zudem eine wichtige Absicherung im Falle komplexer Rechtsfragen. Die Entscheidung zeigt, dass Versicherungen auch bei Berufungen in Datenschutzfällen zur vollständigen Übernahme der Deckungskosten verpflichtet sind, wenn vertretbare Erfolgsaussichten bestehen.