Unrechtmäßig abgerechnete Anwaltskosten? Allianz und EY attackieren Dieselkanzleien!

Disclaimer: Bitte sorgfältig lesen!

 

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege!

Der nachfolgende Beitrag soll eine Kurzeinschätzung zu den Schreiben der Kanzlei EY im Auftrag der Allianz, gerichtet an verschiedene Kanzleien aus dem Verbraucherschutzbereich darstellen. Eine rechtliche Beratung ist hiermit nicht verbunden. Weder die Kanzlei Keen Law Rechtsanwalts GmbH noch der Verfasser haften für die Richtigkeit des Inhaltes dieses Beitrages. Die Frage, ob, auf welche Art und in welchem Umfang die geltend gemachten Ansprüche berechtigt sind, bedarf einer genauen Prüfung im Einzelfall und lässt sich nicht pauschal beantworten! Soweit Rechtsauffassungen dargestellt werden, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um vertretene Meinungen handelt, denen auch Gegenansichten gegenüberstehen. Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung und stellt eine solche auch nicht dar! Insbesondere kann nicht garantiert werden, dass die uns vorliegenden Beispielschreiben auch denen entsprechen, die Sie gegebenenfalls erhalten haben!

Seit den Morgenstunden des 9. Dezember 2024 häufen sich die Meldungen, nach denen die Allianz Rechtsschutz-Service GmbH, anwaltlich vertreten durch die Ernst & Young Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, verschiedene Kanzleien anschreibt und unter Anführen verschiedener rechtlicher Aspekte, aus denen sich vermeintliche Rückforderungsansprüche der Allianz begründen sollen, die Herausgabe von Handakten (soweit ersichtlich stets bis zum Stichtag 18. Dezember 2024) verlangt. Außerdem wird die Abgabe einer Verjährungsverzichtserklärung gefordert.

Das Anschreiben hat bei vielen Kolleginnen und Kollegen zu Irritationen geführt. Insbesondere scheint der inhaltliche Vorwurf der Allianz teils an der Sache vorbeizugehen, etwa sofern sich die Allianz auf vermeintlich „[u]nrechtmäßige Berechnung und Einziehung von Auslagen für [im Namen der angeschriebenen Kanzlei] beauftragte Terminsvertreter“ bezieht. Dieser Tatsachenverhalt ließ sich jedenfalls in den von uns stichprobenartig geprüften Akten an keiner Stelle nachvollziehen, da die Allianz dort keine Mehrkosten für Terminsvertreter getragen hatte.

Auf Grund vieler Anfragen klären wir gerne kursorisch und unter ausdrücklichem Verweis auf den Disclaimer (s. o.) auf, was sich unseres Erachtens hinter dem Anschreiben der Allianz versteckt:

Die Allianz begehrt in erster Linie Auskunft durch Einsichtnahme in die einzelnen Handakten. Ob sie hierzu berechtigt ist, ist umstritten. Ein solcher Anspruch folgt in materieller Sicht nicht (wie aber in dem Schreiben seitens EY behauptet) aus § 50 Abs. 2 BRAO, sondern – wenn überhaupt – aus § 667 BGB (BGH NJW 2020, 3725). Dieser Anspruch steht zunächst einzig dem Mandanten zu. Zwar ist anerkannt, dass der Rechtsschutzversicherer gegen den Rechtsanwalt einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Mandatsabrechnung gem. § 666 BGB hält (BGH r+s 2020, 276). Dass sich ein solcher seinem Umfang nach auch auf die Herausgabe der gesamten Handakte erstrecken sollte, ist – insbesondere in Ermangelung einer Sonderverbindung zwischen Anwalt und Versicherer – doch eher fernliegend.

Soweit der Auskunfts- bzw. Herausgabeanspruch auf § 242 BGB in einem stufenklagen(ähnlichen) Verhältnis zur Bezifferung eines Schadenersatzanspruches gestützt werden sollte, wäre zunächst zu prüfen, welche Informationen die Allianz sich hieraus zu erhoffen scheint. Denn der Rechtsschutzversicherer muss sich zunächst Wissen und Kenntnis seines Versicherungsnehmers als sein (ehemaliger) Mandant zurechnen lassen (OLG Frankfurt am Main, openJur 2021, 31909) und wird sich nicht unter dem Deckmantel dessen fehlender Informationsbereitschaft an den Anwalt halten dürfen.

Jedenfalls in den von uns gesichteten Verfahren fehlte es zudem vollumfänglich an einer nachvollziehbaren Darlegung, welche (dem Versicherungsnehmer bzw. der Allianz nicht ohnehin schon vorliegenden) Informationen die Allianz aus welchen Gründen zu erhalten berechtigt zu sein meint. Die aus den Schreiben ersichtlichen Vorwürfe scheinen aus unserer Sicht zu pauschal und allgemein gehalten, um ein berechtigtes Begehren im Einzelfall ausmachen zu können. Vor diesem Hintergrund scheint es höchst zweifelhaft, dass der Allianz der geforderte Herausgabe- bzw. Auskunftsanspruch tatsächlich zusteht.

Gleiches gilt für die geforderte Art und Weise der Erfüllung. In den uns vorliegenden Beispielschreiben fordert die Allianz ein „geordnetes Verzeichnis über die spezifischen Unterlagen“ aus den Handakten sowie die Gewährung umfassenden Einblickes. Hier gilt: ein Anspruch auf geordnete Darstellung dürfte weder aus §§ 666 ff. BGB (i. V. m. § 50 BRAO) noch aus § 242 BGB folgen. Das bloße Zurverfügungstellen bzw. die Gewährung von Einsichtnahme sollte regelmäßig ausreichen. Schließlich gilt zu beachten, dass die Schuld nach §§ 667 BGB i. V. m. § 50 BRAO wohl als Holschuld zu verstehen ist, sodass die Möglichkeit zur Einsichtnahme am Sitz der Kanzlei ggf. ausreichen muss.


Einen möglichen Rückforderungsanspruch bezüglich der vereinnahmten Geschäftsgebühr versucht die Allianz zunächst auf Grundlage eines unbedingten Klageauftrages nach § 19 RVG zu verargumentieren.

Richtig ist: wenn ein unbedingter Klageauftrag erteilt worden ist, besteht für den Anfall einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG kein Raum mehr. Eine dennoch – dann auftragslos – vereinnahmte Geschäftsgebühr wäre nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben.

Aber: Unserer Erfahrung nach ist ein Auftrag nach § 19 RVG die Ausnahme. In aller Regel wurde zunächst das Mandat für ein vorgerichtliches Aufforderungsschreiben erteilt und dann die Klage beauftragt. In diesem Fall ist die Geschäftsgebühr eigenständig angefallen, und zwar unabhängig davon, ob es seinerzeit „sinnvoll“ gewesen war, den Fahrzeughersteller vorgerichtlich zur Erstattung des eingetretenen Schadens aufzufordern.

Bitte beachten: die hier zu klärende Frage ist rein tatsächlicher Natur und nicht mit dem ebenfalls verschriftlichten Vorwurf, der Mandant hätte zu einem unbedingten Klageauftrag nach § 19 RVG hin beraten werden müssen, zu verquicken!


Die seitens der Allianz in den Fokus gerückte Frage des (vermeintlich zu antizipierenden) Antwortverhaltens der Hersteller auf eine vorgerichtliche Aufforderung kann allerdings zu einem Schadenersatzanspruch des Versicherungsnehmers führen, der sodann mit Zahlung der Geschäftsgebühr durch die Allianz auf diese übergegangen ist, § 86 VVG. Im Grundsatz ist es auch zutreffend, dass die Nichtberatung eines angezeigten Weges (hier laut Allianz: der unbedingte Klageauftrag) eine Schadenersatzpflicht auslöst, wenn festzustellen (und von der Allianz im Streitfall grds. darzulegen und zu beweisen) ist, dass der Mandant diesen Weg bei „sachgerechter“ Beratung auch eingeschlagen hätte.

Allerdings drängen sich auch hier Zweifel an der Argumentation der Allianz auf: so hat der BGH die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten bei einem erfolgreichen Vorgehen aus § 826 BGB bereits mehrfach bejaht. Hervorzuheben ist insbesondere die die Entscheidung vom 1. Dezember 2022 (Hinweisbeschluss nach § 552a ZPO, Az.: VII ZR 278/20), in der der BGH ausführlich darlegt, dass die bloß pauschale Behauptung, der Anspruchsgegner sei bekannterweise nicht zur vorgerichtlichen Regulierung bereit, für die Annahme einer fehlenden Zweckmäßigkeit bzw. Erforderlichkeit regelmäßig nicht ausreicht. Wenn das vorgerichtliche Vorgehen allerdings „zweckmäßig und erforderlich“ erscheinen durfte, dürfte dies gegen einen Beratungsfehler des Rechtsanwalts sprechen.

Zumindest den uns vorliegenden Schreiben der Allianz lässt sich eine weitergehende Darstellung nicht entnehmen, sodass die Annahme eines Anwaltsfehlers auch diesbezüglich zweifelhaft erscheint.


Sollte das Rückfordern der Geschäftsgebühr im Einzelfall gerechtfertigt sein, empfiehlt es sich unbedingt, die Schlussrechnung entsprechend der dann abzuziehenden Geschäftsgebühr zu korrigieren, sodass auch die Anrechnung dieser auf die Verfahrensgebühr entfällt. Faktisch wäre dann mithin nur die hälftige Geschäftsgebühr (bis 1,5) auszukehren.


Soweit die Allianz den Vorwurf erhebt, dass der betroffene Anwalt bzw. die betroffene Kanzlei im Einzelfall zu Unrecht Kosten von Terminsvertretern abgerechnet hätten, konnten wir diesen Sachverhalt in nicht einem heute untersuchten Fall verifizieren. Wenn Sie der Ansicht sind, dass Ihnen hier ggf. ein berechtigter Vorwurf gemacht werden könnte, freuen wir uns über eine vertrauliche Kontaktaufnahme.


Schließlich verweist die Allianz in Ihrem Schreiben noch auf „im Übrigen“ fehlerhafte Abrechnungsmodalitäten, wobei diese in einer vermeintlich überhöhten Streitwertbestimmung oder nicht ausgelösten, aber vereinnahmten (Termins-)gebühren zu sehen sein sollen. Auch diesbezüglich konnten wir bei den von uns betreuten Kanzleien keine Fallakten auffinden, in denen dieser Vorwurf zutreffen könnte.


Sofern Sie sich dazu entschließen sollten, den von der Allianz vorgefertigten Verjährungsverzicht zu erklären, raten wir zur besonderen Vorsicht! Denn der uns vorgelegte Wortlaut dürfte auch bereits verjährte Forderung erfassen, sodass Sie hier ggf. auch auf die wirksame Einrede der Verjährung ohne Not verzichten!


Handlungs­empfehlung für Kanzleien

Sollten Sie ein ähnliches Schreiben der Allianz erhalten haben, empfiehlt es sich:

Sicherzustellen, dass Sie der Allianz gegenüber die Ansprüche auf Abrechnung und Auskunft über das Verfahren(sende) nachweisbar bereits erfüllt haben

Die seinerzeit erteilten Auftrags- und Vollmachtsgeschäfte bzw. deren Dokumentation auf Vollständigkeit zu überprüfen und im Zweifel vorzuhalten

Die Endabrechnungen mit den gerichtlich festgesetzten Streitwerten abzugleichen (hier ggf. auf zeitlich abschnittsweise Festsetzungen achten!)

Die Dokumentation etwa von Vergleichsgesprächen prüfen, wenn eine Terminsgebühr abgerechnet wurde, ohne, dass in dem Verfahren ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden hat

Die Kanzlei Keen Law berät und vertritt Sie gerne in allen gebühren- und haftungsrelevanten Fragen, insbesondere im Rahmen des Dieselskandals und weiterer sog. „Massenverfahren“. Wenn Sie eine individuelle Beratung zu diesem Anspruchsschreiben wünschen, schreiben Sie gerne an: info@keen-law.com

Auch ohne individuelle Durchsicht Ihrer Verfahren können wir Sie in der Auseinandersetzung gegen die Allianz gerne vertreten. Hierbei rechnen wir in der Regel nach dem RVG ab. Die allgemeine Beantwortung des hier angesprochenen Schreibens der Allianz bieten wir Ihnen für einen Pauschalpreis in Höhe von EUR 790,00 zzgl. MwSt. an.

Sprechen Sie uns gern an: