Zur Geschäftsgebühr im Abgasskandal BGH VII ZR 278/20

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Gehörte es früher noch zum guten Ton, den Rechtsanwalt für die außergerichtliche Tätigkeit zu entlohnen, erfuhr mit dem § 19 RVG eine bis zum Aufkommen von “Massenverfahren” wohl eher als Dunkelnorm zu bezeichnende Regelung in den vergangenen Jahren eine (unrühmliche) Prominenz. 

Denn ob bzgl. der Geltendmachung von Datenschutzverstößen, dem Durchsetzen von Auskunft- oder Widerrufsrechten, der Rückforderung überhöhter Versicherungsbeiträge oder eben (mal wieder) dem Abgasskandal: sowohl einige Versicherer als auch die Beklagten der Hauptsache stellen sich hinsichtlich der abgerechneten Geschäftsgebühr fast schon standardmäßig auf den Standpunkt, dass eine solche nicht angefallen, jedenfalls aber nicht erforderlich (§ 125 VVG) bzw. nicht notwendig und erforderlich (Deliktsrecht) sei. Der Anwalt hätte den Mandanten ja darauf hinweisen können, dass die Gegenseite sich “bekanntermaßen” wie in “allen anderen dieser Angelegenheiten” nicht vergleichsbereit zeige.  

Die Geschäftsgebühr sei daher kein Teil der erforderlichen und vereinbarten Leistung, alternativ stünde dem Versicherungsnehmer wegen der Fehlberatung ein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch zu, sofern der Rechtsanwalt dem Versicherungsnehmer eine gesonderte (zwecklose) außergerichtliche Tätigkeit angeraten habe.  

Dass der Bundesgerichtshof dem selbst im Abgasskandal nicht ohne Weiteres zu folgen scheint, hatten wir bereits im August unter Beleuchtung der existenten – aber im Ergebnis nahezu begründungslosen - Entscheidungen des BGH dargestellt.  

Nunmehr deutet sich nach einem Hinweisbeschluss gem. § 552a ZPO (vom 1. Dezember 2022, Az.: VII ZR 278/20) eine eindeutige (und wohlbegründete) Leitlinienjudikatur an, nach der der Bundesgerichtshof diese gegen die Ersatzfähigkeit der Geschäftsgebühr vorgetragenen Argumente für jedenfalls nicht substanziiert genug hält.  

So ist für die Rechtsansicht, es fehle bei einer offensichtlichen Erfolgsaussichtslosigkeit der außergerichtlichen Tätigkeit zwar grundsätzlich Platz: 

 “Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur außergerichtlichen Vertretung im Sinne der Nr. 2300 VV RVG soll schnelle und einverständliche Regelungen ohne Einschaltung der Gerichte ermöglichen, Sie ist zweckmäßig und regelmäßig erforderlich, wenn der Versuch einer – vom Gesetzgeber gewünschten (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 2 u., 147 f.) - außergerichtlichen Streiterledigung nicht von vornherein ausscheidet, wie etwa im Falle einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14 Rn. 16 f. m.w.N., NJW 2015, 3793). Ist der Schädiger bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen ‘Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/44 Rn. 14 m.w.N., NJW 2015, 3793; Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 345/10 Rn. 38, JurBüro 2013, 418).”  

Zur Darlegungslast führt der BGH aus:  

“Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der konkreten Rechtsverfolgung stellen dabei zwar vom Geschädigten darzulegende und im Streitfall zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen dar (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - Vla ZR 100/21 Rn. 12 m.w.N., WM 2022, 543). Die Darlegung einer dem Geschädigten bekannten Zahlungsunwilligkeit obliegt jedoch nach allgemeinen Grundsätzen dem Schädiger.” 

Übertragen auf die konkreten Konstellationen erteilt der Bundesgerichtshof allen allgemeinen und nur auf andere Verfahren querverweisenden Argumentationen eine – recht deutliche – Absage: 

“Der von der Revision aufgezeigte Instanzvortrag der Beklagten genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Entgegen der Darstellung der Revision erschöpfte er sich in tatsächlicher Hinsicht letztlich in der Behauptung, die "Rechtsansicht” der Beklagten sei zur Zeit der außergerichtlichen Anspruchsverfolgung allgemein bekannt gewesen. Abgesehen davon, dass damit schon nicht hinreichend dargelegt worden ist, um welche "Rechtsansicht” es sich konkret handeln soll, beinhaltete der Vortrag nicht, dass die Beklagte zur fraglichen Zeit unter keinen Umständen außergerichtliche Zahlungen geleistet hätte, etwa im Vergleichswege, und dass auch dies allgemein oder jedenfalls den Bevollmächtigten des Klägers bekannt gewesen wäre, Die Rechtsauffassung, nicht zur Leistung verpflichtet zu sein, schließt eine Vergleichsbereitschaft nicht ohne Weiteres aus.”  

Zur rechtsschutzversicherungsrechtlichen Einordnung: 

Auch den einzelnen Versicherern gelingt ein darüberhinausgehender Vortrag jedenfalls in den uns bekannten Verfahren nicht. Einen kurzen praktischen Leitfaden zu dieser Entscheidung finden Sie hier.