Zum Eintritt des Rechtsschutzfalles im PKV-Mandat
Einleitung
In unserem Blogbeitrag aus Juni dieses Jahres haben wir uns bereits mit Problemen im Rahmen der Beitragsrückerstattung von privaten Krankenversicherern beschäftigt. Dabei wurden insbesondere die Aspekte beleuchtet, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit den Rechtsschutzversicherern stehen.
Aufgrund der Fülle an relevanten Themen aus diesem Bereich konnte unser erster Beitrag lediglich einen ersten Überblick geben. Nun möchten wir uns den einzelnen Problemen konkreter widmen.
In diesem Beitrag soll es um die zeitliche Verortung des Rechtsschutzfalls gehen – seit jeher einer der komplexesten Themenpunkte im RSV-Recht.
Zum Problemaufriss: Häufig läuft ein Krankenversicherungsvertrag (deutlich) länger als die vertragliche Beziehung mit dem Rechtsschutzversicherer. Es liegt deshalb nahe, dass sich letzterer darauf beruft, der Rechtsschutzfall sei bereits vor versicherter Zeit eingetreten, weshalb kein Deckungsschutz gewährt werden könne.
Ausgangspunkt: Grundsatzentscheidungen des BGH
In seinem Urteil vom 24. April 2013, Az.: IV ZR 23/12 hat der BGH im Fall eines scheinbar verfristeten aber nach fehlerhafter Widerspruchsbelehrung dennoch ausgeübten Widerspruchs (im Bereich einer Lebensversicherung) entschieden, dass der Versicherungsfall nicht schon mit der fehlerhaften Belehrung bei Vertragsschluss, sondern mit der Weigerung des Widerspruchsempfängers, das Widerspruchsrecht anzuerkennen und sich dessen Rechtsfolgen zu beugen, eintritt.
Diese Wertung hat der BGH auch in seiner Entscheidung vom 4. Juli 2018, Az.: IV ZR 200/16 für das erst nach Jahren ausgeübte Widerrufsrecht bestätigt. Überhaupt ergibt sich aus dem Studium der Entscheidungshistorie zum Eintritt des Versicherungsfalls in der Rechtsschutzversicherung, dass eine “uferlose Rückverlagerung des Rechtsschutzfalls” durch Anknüpfung an die erste adäquate Ursache den berechtigten Interessen des Versicherungsnehmers widerspricht. Auf die Beitragserhöhungen könnte dies in der Weise angewandt werden, dass die (in versicherter Zeit erfolgende) Zurückweisung des Rückerstattungsersuchens der maßgebliche Verstoß ist.
Ansicht der Versicherer
Nach der Auffassung der Rechtsschutzversicherer tritt der Rechtsschutzfall hingegen bereits mit der erstmaligen (rechtswidrigen) Beitragserhöhung ein - Argument: es handle sich bei den unrechtmäßigen Beitragsanpassungen um Verstöße, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Die Einordnung als sog. Dauerverstoß habe zur Folge, dass der Beginn dieses andauernden Verstoßes maßgeblich ist und der Rechtsschutzfall bereits mit der ersten Beitragserhöhung eintrete.
Ein Dauerverstoß ist nach der Rspr. auch in Fällen gegeben, in denen der Verstoß zwar nicht ununterbrochen andauert, sich jedoch in gewissen Abständen in gleichartiger oder ähnlicher Weise wiederholt. Es liegen somit zwar mehrere Verstöße vor, die aber wegen ihrer Gleichartigkeit und ihres natürlichen Handlungszusammenhangs als Dauerverstoß anzusehen sind. Deshalb ist anerkannt, dass beispielsweise bei fehlerhaften Jahresabrechnungen im Rahmen einer Wohnungseigentümergemeinschaft von einem Dauerverstoß auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2014, Az.: IV ZR 47/13, mit Verweis auf OLG München, Beschluss vom 10. März 2011, Az.: 25 U 4100/10).
So ist es auch in der Entscheidung des Ombudsmanns vom 14. Februar 2022 nachzulesen.
Stellungnahme
Die Beurteilung der Frage, wann der Rechtsschutzfall eintritt, ist komplex. Die BGH-Rechtsprechung zu den Widerspruchs- bzw. Widerrufsfällen hat einiges für sich. Wenn es doch allein darauf ankommen soll, was der Versicherungsnehmer als Verstoß behauptet und daraufhin begehrt, so wird sich auch für die verlangten Beitragsrückerstattungen sagen lassen, dass ihm etwa mit der nachträglichen Korrektur der Beitragsanpassungsschreiben nicht geholfen ist. Ihm geht es nicht darum, ordnungsgemäße Beitragsanpassungsschreiben zu erhalten.
Gleichwohl kann diese Herangehensweise nicht schablonenartig für jeden erdenkbaren Fall gelten. Insbesondere ist sich vor Augen zu führen, dass in den vorbenannten Entscheidungen des BGH jeweils Gestaltungsrechte geltend gemacht wurden, deren Entstehung von einer Erklärung abhängig ist. Dagegen entsteht der Rückerstattungsanspruch in den PKV-Fällen unabhängig vom erklärten Willen des Anspruchsinhabers.
Dennoch: die pauschale Annahme, bei unrechtmäßigen Beitragserhöhungen handele es sich um Dauerverstöße, lässt durchgreifende Bedenken aufkommen. Zum einen können die einzelnen Beitragsanpassungen an unterschiedlichen formellen bzw. materiellen Fehlern leiden, sodass es sich zwar der Art nach um ähnliche Verstöße („Zuvielforderungen“) handeln mag, die aber gleichwohl unterschiedliche – selbstständig zu überprüfende - Kausalverläufe darstellen (so etwa AG Bremen, Urteil vom 17. September 2021, Az.: 25 C 376/20). So scheint es nicht nachvollziehbar, weshalb es sich bei einer Beitragserhöhung aus dem Jahre 2009, die formell unrechtmäßig vorgenommen wurde, und einer Beitragserhöhung aus 2020, die an materiellen Fehlern leidet, um ein und denselben (Dauer-)Verstoß handeln soll, der 2009 begonnen hat. Dazu kommt, dass ein automatisches Abstellen auf die erstmalige Beitragserhöhung dazu führen würde, dass es für die Bestimmung des Rechtsschutzfalls nicht mehr zwangsläufig auf den Vortrag des Versicherungsnehmers ankäme. Denn ihm würde auf diese Weise „in den Mund gelegt“, dass er stets alle Beitragserhöhungen angreift, auch wenn er dadurch regelmäßig seinen Anspruch auf Rechtsschutz verliert. Das erscheint unbillig.
Als Zwischenlösung ließe sich vertreten, dass die Beitragsanpassungen aus den einzelnen Jahren für sich genommen selbstständige Dauerverstöße darstellen, die sich durch die regelmäßige Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbeitrags stetig aktualisieren. Alle zu Unrecht eingeforderten und auf der Anpassung aus 2009 basierenden Zahlungen stellten dann einen Dauerverstoß dar, während die Erhöhung aus 2020 einen weiteren davon getrennten Dauerverstoß in Gang setzen würde. Unter dieser Annahme wäre es sodann konsequent, auf den jeweiligen Beginn der entsprechenden Erhöhung abzustellen. Hier käme dem Versicherungsnehmer sodann die in den ARB vorgesehene Regelung zugute, nach der bei der Bestimmung des Rechtsschutzfalles solche Verstöße außer Betracht bleiben, die länger als ein Jahr vor versichertem Zeitraum liegen. Auf diese Weise bliebe der Vortrag des Versicherungsnehmers weiterhin maßgebend, ohne Zweckabschlüssen Tür und Tor zu öffnen.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Rechtsprechungslandschaft angesichts der Vielzahl an derzeit anhängigen Verfahren in den kommenden Monaten belastbarer zu dieser Frage verhalten werden kann.