Quotenvorrecht und Aufrechnung mit erstatteten Gerichtskosten
Die Ausgangslage:
Nicht selten kommt es vor, dass der Rechtsanwalt nach Abschluss des Verfahrens der Meinung ist, noch offene Honoraransprüche gegenüber seinem rechtsschutzversicherten Mandanten zu haben.
Der bislang fehlende Ausgleich der vollen Schlussrechnung kann mehrere Gründe haben: der Versicherer hält den Streit- bzw. Gegenstandswert für überhöht angesetzt, oder er weigert sich die Kosten der aus seiner Sicht aussichtslosen vorgerichtlichen Tätigkeit (Stichwort: unbedingter Klageauftrag) zu zahlen.
Spannend wird es, wenn die Justizkasse unverbrauchte Gerichtskosten auf das Geschäftskonto des Rechtsanwaltes auskehrt und der Rechtsanwalt mit diesen gegen den auf den Versicherer gem. § 86 Abs. 1. S. 1. VVG übergegangenen Auszahlungsanspruch aufrechnet. So schafft es der Rechtsanwalt, die unangenehme Situation, seinen Mandanten zu verklagen und selbst in den Aktivprozess einzusteigen, aus dem Weg zu gehen. Der Ball des Klageverfahrens läge dann beim Versicherer.
In einigen von der Keen Law verteidigten Zahlungsklagen von Versicherern gegen Rechtsanwaltskanzleien führen die Klägerinnen regelmäßig das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 10. Juni 2021, Az.: IX ZR 76/20 an.
Dort heißt es im Leitsatz:
- Hat der Rechtsschutzversicherer Gerichtskosten gezahlt und erstattet die Gerichtskasse unverbrauchte Gerichtskosten an den Rechtsanwalt, geht der Anspruch des rechtsschutzversicherten Mandanten gegen seinen Rechtsanwalt, alles herauszugeben, was er aus der anwaltlichen Geschäftsbesorgung erlangt, insoweit auf den Rechtsschutzversicherer über.
- Für Erstattungsansprüche aufgrund überzahlter Gerichtskosten besteht in der Rechtsschutzversicherung kein Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers.
Nach Ansicht der Versicherer sind die Anwälte aus diesen Rechtserwägungen heraus verpflichtet, den erlangten Gerichtskostenvorschuss ungeachtet bestehender eigener Ansprüche herauszugeben.
Damit unterliegen sie allerdings einem Rechtsirrtum, denn der BGH stellt zunächst “lediglich” fest, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Rechtsanwalt auf Herausgabe der zurückerstatteten Gerichtskosten gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf den Versicherer übergegangen ist. So weit so unspektakulär.
Dogmatisch interessanter, wenngleich nicht wirklich überraschend, ist der Leitsatz zu 2), nachdem dem Versicherungsnehmer gegen seinen Versicherer kein Quotenvorrecht hinsichtlich der erstatteten Gerichtskosten zusteht. Denn das in § 86 Abs. 1 S. 2 VVG verankerte Quotenvorrecht zielt nach Ansicht des BGH insbesondere auf Ersatzleistungen des Schädigers ab, von denen sich die überzahlten Gerichtskosten ihrer Art nach immens unterscheiden (vgl. Zur Vertiefung BGH a. a. O. - lesenswert!).
Warum bzw. Wo aber nun der Rechtsirrtum der Versicherer?
Die Versicherer verkennen, dass die Frage des Quotenvorrechts ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen ihnen und ihren Versicherungsnehmern betrifft.
Hiervon strikt zu trennen sind die Beziehungen zwischen dem Rechtsanwalt und seinen Mandanten! In dieses Verhältnis tritt die Versicherung zwar in Folge der cessio legis ein – allerdings ohne die zwischen ihr und dem Versicherungsnehmer streitigen Rechtsfragen “mitzuziehen”.
An dieser Stelle kommt der nicht übertragbare Sachverhalt zum Vorschein. Denn in dem Verfahren, das der BGH zu entscheiden hatte, hatten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dessen vermeintlichen Anspruch (und eben nicht mit eigenen Honoraransprüchen) gegen den Versicherer aufgerechnet:
“b) Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für einen Schutz einer zugunsten der Beklagten bestehenden Aufrechnungslage nach §§ 406, 407 BGB erfüllt sind. Die Beklagte zu 1 [die Prozessbevollmächtigte, Einf. d. Unterzeichners] hat weder eine Aufrechnung mit eigenen Gebührenansprüchen gegen die Versicherungsnehmer erklärt noch sich auf eine solche von ihr zuvor erklärte Aufrechnung berufen. Die Gebührenansprüche der Beklagten zu 1 sind nach ihrem eigenen Vorbringen durch Erfüllung erloschen, weil die Versicherungsnehmer die Gebührenrechnungen bezahlt haben.”
Zu der hier entscheidenden Fragen verhält sich der Bundesgerichtshof – und das verkennen die Versicherer offensichtlich – in dankbarer Deutlichkeit dahingehend, dass eine Aufrechnung von Honoraransprüchen auch mit zurückerstatteten Gerichtskosten grundsätzlich möglich sein soll:
“Allerdings kommt nach einem Übergang von Forderungen des Versicherungsnehmers auf den Versicherer gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG grundsätzlich eine Aufrechnung des Anwalts mit eigenen Gebührenansprüchen gegen den Versicherungsnehmer in Betracht. Gemäß § 406 BGB kann der Schuldner eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen, es sei denn, dass er bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis hatte oder dass die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden ist. Diese Bestimmung gilt gemäß § 412 BGB auch für einen gesetzlichen Forderungsübergang (BGH, Urteil vom 27. Juni 1961 - VI ZR 205/60, BGHZ 35, 317, 325), auch im Verhältnis zum Rechtsschutzversicherer (aA LG München I, VersR 2006, 257, 258). Ebenso ist § 407 BGB im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1966 - II ZR 279/63, VersR 1966, 330 unter I. zu § 67 VVG aF), so dass sich der Anwalt unter den Voraussetzungen des § 407 BGB auf eine gegenüber dem bisherigen Gläubiger nach dem Forderungsübergang erklärte Aufrechnung berufen kann.“
Sofern also die Honoraransprüche des Rechtsanwaltes vor Übergang des Gerichtskostenauskehrungsanspruches auf den Versicherer fällig geworden sind, steht einer Aufrechnung, die die Klageforderung dann gem. §§ 362 Abs. 1, 389 BGB i. V. m. §§ 412, 406 BGB i. V. m. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG zum Erlöschen bringt, wenig im Weg.
Die Frage des Quotenvorrechts spielt für unseren Streit keine Rolle.
Anmerkung: Keine verbindliche Aussage soll an dieser Stelle über die höchst streitige Frage, ob die erstatteten Gerichtskosten Fremdgelder im Sinne von § 4 Abs. 3 Var. 2 BORA darstellen (dagegen: Graf/Johannes in VersR 2020, 871).