OLG Nürnberg: Deckungspflicht in PKV-Fällen
Einleitung
Ein aus versicherungsrechtlicher Sicht lesenswerter Hinweisbeschluss erreichte uns vom achten Senat des OLG Nürnberg. Dabei ging der Senat schulbuchmäßig auf einige Grundvoraussetzungen des Anspruchs auf Deckungsschutz ein und äußert sich in bemerkenswerter Weise zum Umfang der Leistungsentscheidung sowie dazu, wie weit sich die Bindungswirkung des Stichentscheids erstreckt.
Welcher Sachverhalt lag zugrunde?
Der Versicherungsnehmer verfolgte Ansprüche gegen seinen Krankenversicherer aufgrund unzulässiger Beitragserhöhungen und stellte eine Deckungsanfrage für das außergerichtliche sowie erstinstanzliche Vorgehen. Der Versicherer lehnte die Gewährung von Rechtsschutz unter Berufung auf fehlende Erfolgsaussichten ab. Einen daraufhin angefertigten Stichentscheid wies der Versicherer als ungenügend zurück. Der Versicherer begründete seine Auffassung damit, dass der Stichentscheid sich inhaltlich widerspreche, überdies der Versicherungsnehmer seiner Beweislast nicht nachgekommen sei und der Stichentscheid sich ebenso wenig mit einer Verjährung der Ansprüche auseinandersetze. Schließlich sei Deckungsschutz, wenn überhaupt, nur für den außergerichtlichen Bereich zu erteilen, da das vorgerichtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen und der gerichtliche Deckungsanspruch damit noch nicht fällig sei.
Die Entscheidungsgründe
Obwohl das Landgericht Regensburg in erster Instanz dem Versicherungsnehmer den begehrten Deckungsschutz vollumfänglich versagt hatte und die Klage abwies, scheint es vor dem Oberlandesgericht Nürnberg nun zu einer Kehrtwende zu kommen.
Das Oberlandesgericht hält die Einschätzung des LG Regensburg für nicht überzeugend und sieht für die begehrte Rechtsverfolgung zumindest (teilweise) hinreichende Erfolgsaussichten.
Zur Frage der hinreichenden Erfolgsaussichten bestätigt das OLG abermals, dass die zu § 114 Abs. 1 S.1 ZPO entwickelten Grundsätze zu übernehmen sind.
Nach Ansicht des Gerichts sind an die Voraussetzungen der hinreichenden Erfolgsaussichten keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Rechtsstandpunkt des Versicherungsnehmers aufgrund seiner Darstellung und den vorhandenen Unterlagen zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht.
Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten ist nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen.
Für Problematisch hielt das Gericht die Beweislastverteilung in der Hauptsache bzgl. der negativ formulierten Feststellungsklage als Antrag zu 1 sowie dem auf Zahlung gerichteten Klageantrag zu 2.
Das Gericht führt dazu aus:
„Die Beweislast für vertragliche und bereicherungsrechtliche Ansprüche, die – wie hier – auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, könnte entsprechend den jeweiligen Regeln des materiellen Rechts unterschiedlich verteilt sein und könnte daher für die einzelnen Klageanträge auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Es könnte weder die eine noch die andere Beweislastverteilung auf die jeweils andere Anspruchssituation „durchschlagen“, sondern jeder der unterschiedlichen Klageanträge könnte beweisrechtlich das Schicksal der für ihn maßgeblichen Beweisregel teilen (vgl. BGH, Beschluss v. 17.01.2012 -XI ZR 254/10, juris Rn. 6).“
Hinsichtlich des Feststellungsantrages zu 1 erkannte das Gericht, dass der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzziel hinreichend und schlüssig begründet habe, das Vorbringen des Krankenversicherers daher entscheidungserheblich sei.
Gleichwohl betonte es, dass dessen Verhalten in der Hauptsache nicht antizipiert werden dürfe. Ein wichtiger Punkt! Denn schon häufig mag man sich im Deckungsverfahren gefragt haben, wer einem gegenüber sitzt: der Rechtsschutzversicherer oder der Gegner des Bezugsverfahrens? Das OLG Nürnberg stellt diesbezüglich heraus, dass sich eine Vorwegnahme des Bezugsverfahrens geradezu verbietet:
„Im vorgelagerten Deckungsprozess gegen den Rechtsschutzversicherer ist aber das Prozessvorbringen des Krankenversicherers zu den zahlreichen einzelnen Vertragsänderungen nicht antizipierbar.
Dem erkennenden Senat (mit dem Spezialgebiet „Versicherungssachen“) ist aus einer Vielzahl vergleichbarer Streitsachen auf dem Gebiet der „Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung“ geläufig, dass einzelne Krankenversicherungen selbst zu ein und derselben Prämienanpassung verscheiden formulierte Informationen an den jeweiligen Versicherten übersandt haben. Auch sind Fälle aufgetreten, in denen zu mitübersandten „Beiblättern und Informationen“ im Prozess – wider Erwarten – kein Sachvortrag von Versichererseite erfolgte und dieser sich auf Vorbringen zum Anschreiben ohne Beilagen beschränkt hat.
All dies bekräftigt die Richtigkeit es von der einschlägigen ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung postulierten Obersatzes: „Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.““
Anders verhält es sich jedoch mit der Verjährungseinrede – diese ist auch im Deckungsprozess beachtlich. Der Senat führt aus:
„Anders sieht es aber mit der Verjährungseinrede aus. Ein solches Verteidigungsvorbringen des Krankenversicherers kann und darf antizipiert werden (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 114 Rn. 30).
Erfreulich ist dabei aus unserer Sicht, dass das Gericht die wohl bekannten Prüfungsmaßstäbe nicht lediglich wiederkaut, sondern sie auch in nachvollziehbarer Weise auf den konkreten Fall anwendet.
Bemerkenswert ist zudem die Auffassung des Senats hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsverfolgung. Ausgehend von den zugrundeliegenden ARB postuliert der Senat, dass, sofern diese keine Differenzierung nach außergerichtlicher und instanzlicher Rechtverfolgung enthalten, ein Gleichlauf der Eintrittspflicht des Rechtsschutzversicherers anzunehmen sei. So heißt es ausdrücklich:
„Eine weitergehende Differenzierung speziell zu den anwaltlichen Kosten der außergerichtlichen Interessenwahrnehmung (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 1 RVG i.V.m. Nr. 2300 VV RVG) enthalten die zwischen den Parteien vereinbarten ARB – soweit ersichtlich – nicht, die Parteien tragen hierzu auch nichts vor.
[…]
Es ist deshalb sachgerecht, einen Gleichlauf der Eintrittspflicht der Beklagten sowohl für die „außergerichtliche Interessenwahrnehmung“ als auch für das „Klageverfahren erster Instanz“ anzunehmen. Wenn und soweit der auf § 18 ARB gestützte Einwand mangelnder Erfolgsaussicht für das Gerichtsverfahren nicht durchgreift, gilt dies ohne Weiteres auch für ein vorgeschaltetes Tätigwerden des Rechtsanwaltes gegenüber dem Anspruchsgegner.“
Im Ergebnis stellt der Senat klar, dass auch die Deckungszusage in Ihrem Umfang ähnlich dem Bewilligungsumfang im PKH-Verfahren beschränkt werden kann.
Anmerkung
Der Hinweisbeschluss bestätigt aus unserer Sicht, dass von den Versicherern immer wieder gewählte Ablehnungsgründe dogmatisch nicht verfangen. Dabei fällt auf, dass im vorgerichtlichen Bereich nicht selten eher oberflächliche Ablehnungen im Klageverfahren plötzlich aufgebauscht und verfeinert werden. Oft mag ein solches Vorgehen zivilprozessual zulässig, durch die versicherungsrechtliche Lupe jedoch rechtswidrig erscheinen. Das zeigt insbesondere das Beispiel der nachgeschobenen Argumentation, man differenziere bei der Ablehnung zwischen gerichtlichem und außergerichtlichem Vorgehen, obwohl die Ablehnung eine solche Differenzierung nicht im Ansatz erkennen lässt.