OLG Hamm zu § 25 VRB
OLG Hamm (I-20 U 11/22) zu § 25 VRB: Kein Deckungsschutz, weil das Fahrzeug bei Kaufvertragsabschluss nicht auf den Versicherungsnehmer zugelassen war
Eine wohl für die Parteien wie auch für alle anderen versicherungsrechtlich Interessierten überraschende Entscheidung traf vor wenigen Wochen das OLG Hamm in einem von uns nicht vertretenen Verfahren.
Gegenstand des dortigen Rechtsstreits war die Frage des Deckungsschutzes für die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal. Während das erstinstanzliche Gericht die Klage noch unter Verweis auf fehlende Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgewiesen hatte (was mit Blick auf ein weiteres Urteil des OLG Hamm vom 5. März 2023, Az.: 20 U 144/22 wohl nicht gehalten worden wäre), sah das OLG Hamm die Berufung hier allein deshalb als unbegründet an, weil der Erwerbsvorgang des an sich versicherten Fahrzeugs nicht unter den Versicherungsschutz gefallen sein sollte.
Zum Hintergrund:
Der hier verklagte Versicherer (ADAC) hat sich bisher (soweit bekannt) in vergleichbaren Auseinandersetzungen “nur” mit dem klassischen Einwand der fehlenden Erfolgsaussichten verteidigt. Eine Ablehnung des Deckungsschutzes mit dem Verweis, der Erwerbsvorgang falle an sich bereits nicht unter den Versicherungsschutz, existierte bislang auch in sämtlichen weiteren regulierten Fällen nicht. Gleiches galt für die Verteidigungslinie des ADAC in einschlägigen Gerichtsverfahren.
Auch in dem Verfahren vor dem OLG Hamm war es nicht der ADAC, sondern das Gericht selbst, welches Zweifel an den primären Voraussetzungen des Versicherungsschutzes äußerte. Grundlage war die zwischen den Parteien vereinbarte Klausel des § 25 VRB, der auszugsweise wie folgt lautet:
„(1) Versicherungsschutz besteht für den Versicherungsnehmer sowie dessen Ehepartner oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Partner und die minderjährigen Kinder in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Fahrer und Insassen aller auf diese Personen zugelassenen Pkw, Kombis, zulassungspflichtigen Krafträder und Wohnmobile. Auf die versicherten Personen zugelassene Anhänger und Wohnwagen sind beitragsfrei mit versichert.“
Der ADAC stützt sich nun darauf, dass nach dem Wortlaut der Klausel Versicherungsschutz nur für solche Fahrzeuge bestehe, die auf die versicherten Personen zugelassen sind, was sinnlogisch beim Abschluss eines Kaufvertrages (noch) nicht der Fall sein kann.
Die Begründung des OLG Hamm
Diese Argumentation beruht auf dem Urteil des OLG Hamm. Das Gericht geht zunächst (der wohl herrschenden Meinung entsprechend) davon aus, dass der Rechtsschutzfall im sog. Abgasskandal mit dem Abschluss des Kaufvertrages über das Fahrzeug eintritt.
Sodann gelangt das OLG zu der Erkenntnis, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer (der hier den Maßstab für eine Klauselauslegung vorgibt) die Klausel nur so verstehen kann, dass die Beklagte den Versicherungsschutz erst ab dem Zeitpunkt der Zulassung des Fahrzeuges gewähren möchte. Verstöße, die sich vor Zulassung ereignet haben, sollen „für den Versicherungsnehmer erkennbar“ nicht vom Versicherungsschutz umfasst sein. Die ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut:
„in seiner Eigenschaft als Eigentümer, Halter …aller auf diese Personen zugelassenen Pkw“.
Auch steht dem (anscheinend nach Hinweis des Gerichts) erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Einwand durch die Beklagte der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen, so das OLG weiter.
Die Beklagte habe sich zwar weder vorgerichtlich „als auch – zunächst – in dem Rechtsstreit“ hierauf nicht berufen, sondern ausschließlich mangelnde Erfolgsaussichten angeführt. Da die Beklagte aber weder das grundsätzliche Bestehen des Versicherungsschutzes bestätigt habe noch dem Kläger in gleichgelagerten Fällen Deckungsschutz gewährt wurde, sei es der Beklagten unter Vertrauenschutzgesichtspunkten nicht verwehrt, sich hierauf zu berufen. Vielmehr handle es sich bei der Frage, ob überhaupt Versicherungsschutz besteht, um eine „von Amts wegen“ zu prüfende Schlüssigkeitsvoraussetzung, die auch nicht „unstreitig“ sein könne.
Kritikpunkte
Die Entscheidung des OLG Hamm vermag nicht zu überzeugen. Falsch ist schon, dass der ADAC in der Vergangenheit den Versicherungsschutz dem Grunde nach bei einem vereinbarten Leistungspaket nach § 25 VRB nicht bestätigt haben soll. Das (tausendfache) Gegenteil ist der Fall. Auch die rechtliche Wertung des Oberlandesgerichts ist – insbesondere mit Blick auf die vorgenommene Auslegung der Klausel – durchgreifend zu kritisieren. Trotz der Aktualität des Urteils finden sich bereits jetzt entsprechende Gegenansichten in der Instanzrechtsprechung wieder.
So sieht das Landgericht Heilbronn (Az.: II 4 O 222/22) die Auslegung als zu eng an und stellt vor allem darauf ab, dass der Versicherungsnehmer die Eigenschaften “Eigentümer, Halter etc.” als prägend für den Versicherungsschutz ansehen und davon ausgehen wird, dass von der Klausel zumindest auch solche Fälle erfasst sein sollen, bei denen zwischen Erwerb und Zulassung ein enges Zeitfenster im Sinne eines einheitlichen Vorgangs gegeben ist.
Anders – aber mit gleichem Ergebnis – argumentiert das Landgericht Hildesheim (Az.: 3 O 237/22), dass im Rahmen des § 25 VRB unter anderem auch Rechtsschutz im Vertrags- und Sachenrecht besteht (was unstreitig der Fall ist). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daher erkennen, dass auch vertragliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Fahrzeug vom Versicherungsschutz umfasst sind. Dass dies aber nur hinsichtlich von Auseinandersetzungen der Fall sein soll, die (erst) nach Zulassung entstehen (z.B. mangelhafte Reparaturen), während die in der Praxis wesentlich relevanteren Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs ausgeklammert werden sollen, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Versicherungsbedingungen gerade nicht (ohne Weiteres) entnehmen.
Dieses Verständnis dürfe (nach Auffassung des Landgerichts Heilbronn) im Übrigen auch dem des Versicherers entsprechen. Denn dieser wirbt auf seiner Internetseite unter expliziter Bezugnahme auf § 25 VRB damit, dass der Verkehrsrechtsschutz unter anderem „Schutz bei Problemen beim Gebrauchtwagenkauf bieten soll“.
Anmerkungen
Die Ergebnisse wie auch die diesen zugrunde liegenden Auslegungen der Landgerichte Heilbronn und Hildesheim sind zutreffend. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird mit dem Wortlaut der Klausel insbesondere auf die Eigenschaft als Eigentümer abstellen, wobei für ihn als juristischen Laien nicht erkennbar ist, dass er seine Eigentümerstellung noch nicht durch den bloßen Abschluss des Kaufvertrages erwirbt. Dass die Geltendmachung von kaufrechtlichen Ansprüchen nicht versichert sein soll, Ansprüche im Zusammenhang mit mangelhaften Reparaturen dann aber schon, führt ebenfalls dazu, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer gerade nicht auf die Frage der Zulassung abstellen wird. Insbesondere unter Berücksichtigung des eingeschlossenen Rechtsschutzes von vertraglichen Angelegenheiten und entsprechenden Werbeversprechen wird die Klausel so verstanden werden, dass sämtliche Streitigkeiten im Rahmen des Fahrzeugkaufes selbst auch unter den versprochenen Versicherungsschutz fallen. Hinzu tritt, dass dieses Ergebnis auch der langjährigen Regulierungspraxis des ADAC selbst und damit offenbar dessen Klauselverständnis entspricht. Dass (gerade) der ADAC über Jahre hinweg vor allem im Dieselskandal über das eigene Leistungsversprechen dem Grunde nach hinweg aus Kulanz mehrere zehntausend Rechtsschutzfälle reguliert haben soll (ohne das kulante Verhalten als Solches zu kennzeichnen), ist abwegig.
Fraglich erscheint daneben, ob die Ansicht des OLG zum Treuwidrigkeitseinwand tatsächlich durchgreifen kann. Richtig ist zwar, dass der Versicherer einen Vertrauenstatbestand durch eine Deckungszusage („Anerkenntnis“) bisher nicht geschaffen hatte. Mit der Frage, inwiefern ein solcher Vertrauenstatbestand aber durch einen in der ursprünglichen Ablehnung, der Ablehnung des Stichentscheids und dem erstinstanzlichen Vortrag nicht erhobenen Einwand zu sehen ist, befasste sich das OLG aus unserer Sicht nicht hinreichend (hierzu auch https://www.keen-law.com/de/blog/artikel/reichweite-der-praeklusion-primaere-leistungsbegrenzung.html).
In diesem Zusammenhang ebenfalls in keiner Weise berücksichtigt wurde, dass den Versicherer auch bei Deckungsablehnungen Fürsorgepflichten treffen und dieser dem Redlichkeitsgebot aus § 1a VVG unterliegt. Dementsprechend erscheint es unbillig, dem Versicherer die Möglichkeit zu eröffnen, einen solchen Einwand noch derart spät zu erheben. Zumal das Risiko der fehlerhaften Bewertung der Eintrittspflicht dann vollständig auf den Versicherungsnehmer abgewälzt wird, obwohl die Deckungsprüfung originäre Aufgabe des Versicherers ist
(vgl. hierzu auch schon Landgericht Hildesheim, Urteil vom 4. August 2020, Az.: 3 O 317/19).