Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach (unberechtigter) Deckungsablehnung
Dass der Versicherungsnehmer auch nach (unberechtigter) Deckungsablehnung weiterhin Obliegenheiten zu erfüllen hat, ist eine seitens des Versicherers in der Praxis gern aufgestellte Behauptung, um unliebsame Ansprüche des Versicherungsnehmers abzuwehren. Dabei ist es überaus fraglich, ob der Versicherungsnehmer tatsächlich dem leistungsunwilligen Versicherer gegenüber weiterhin zur Einhaltung von Obliegenheiten gehalten ist.
1. Auffassung in Rechtsprechung und Literatur
Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur wirkt sich die Deckungsablehnung in Schadensversicherungen derart aus, dass keinerlei Obliegenheiten mehr durch den Versicherungsnehmer erfüllt werden müssen.
So stellt das OLG Köln mit Urteil vom 22. Februar 2000, Az.: 9 U 74/99 (zur Rechtsschutzversicherung konkret) fest:
„Grundsätzlich treffen die Versicherungsnehmer nach Ablehnung der Versicherungsleistung keine Obliegenheiten mehr“.
Ähnlich sehen es beispielsweise auch Prölss/Martin, VVG § 28 Rn. 77:
„Grds. treffen den VN keine Obliegenheiten mehr nach Ablehnung des Entschädigungsanspruchs (st. Rspr.; BGHZ 107, 368, 371 = VersR 1989, 842f.; BGH VersR 2007, 1116 Rn. 15; 2013, 609 Rn. 18 [dazu Langheid, FS E. Lorenz, 2014, §. 241]; Dresden r+s 2017, 354, 356; Jena VersR 2019, 1209, 1213; Saarbrücken VersR 2019, 353, 356 [obiter]; OGH VersR 2009, 854, 856).“
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz käme lediglich in Betracht, wenn der Versicherer nach erteilter Deckungsablehnung die Leistungsprüfung (ggf.) erneut aufnehmen möchte und zu diesem Zweck dem Versicherungsnehmer zu erkennen gibt, dass dieser weiterhin Obliegenheiten zu erfüllen hat, soweit die Erfüllung zumutbar erscheint (vgl. Prölss/Martin, VVG § 28 Rn. 78 m. w. N.).
2. Zustimmend: Berufen auf Obliegenheitsverletzung treuwidrig
Der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist zuzustimmen. Im Falle einer endgültigen Ablehnung des Deckungsschutzes durch den Versicherer endet auch die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Erfüllung der Obliegenheiten. Denn ein Berufen des Versicherers auf Obliegenheitsverletzungen nach ausdrücklich erteilter Deckungsablehnung ist treuwidrig. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 BGB, dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“). Der Versicherer verhält sich widersprüchlich, wenn er die Deckung erst in (unberechtigter) Weise ablehnt und dann im Nachhinein trotzdem weiterhin die Einhaltung irgendwelcher Obliegenheiten des Versicherungsnehmers fordert.
Ersichtlich geht der Versicherer davon aus, dass er den Deckungsschutz (in unberechtigter Weise) und ohne Folgen zu fürchten ablehnen darf, der Versicherungsnehmer aber gleichzeitig sämtliche Obliegenheiten einhalten muss, um vollständigen Versicherungsschutz zu erhalten. Dies widerspricht schon dem Grundgedanken eines gegenseitigen Vertrages. Denn ein Vertragspartner kann die Einhaltung der vertraglichen Pflichten nur dann einfordern, wenn er sich selbst vertragsgetreu verhält.
In der (unberechtigten) Leistungsverweigerung des Versicherers liegt jedoch die Verletzung einer primären Pflicht aus dem Versicherungsvertrag. Wird die Deckung abgelehnt, bringt der Versicherer damit unweigerlich zum Ausdruck, dass zwischen ihm und dem Versicherungsnehmer aufgrund des zugrundeliegenden Sachverhalts keinerlei (gegenseitige) Rechte, Pflichten oder Obliegenheiten bestehen.
Beruft sich der Versicherer dennoch auf eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers, indem er von diesem fordert auch nach Deckungsablehnung noch sämtliche Pflichten und Obliegenheiten eingehalten zu haben, an die er selbst sich aber bis heute nicht gebunden fühlt, handelt er offensichtlich widersprüchlich.
3. Ergebnis
- Nach (unberechtigter) Deckungsablehnung bestehen keine Obliegenheiten des Versicherungsnehmers mehr.
- Dem Versicherer ist es zudem wegen des eigenen (vertragswidrigen) Verhaltens aus Treu und Glauben verwehrt, sich auf etwaige Obliegenheitsverletzungen zu berufen.