LG Berlin: Vorabentscheidungsverfahren und der Deckungsprozess

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Knapp vier Monate ist es mittlerweile her, dass sich der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Rantos in der Rechtssache C-100/21 in seinen Schlussanträgen verbraucherfreundlich positioniert und dafür plädiert hat, die Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 dahingehend auszulegen, dass sie auch dem Schutz von Käufern eines Fahrzeugs dienen, sofern der Hersteller Fahrzeuge in den Verkehr bringt, die nicht in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typen bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften stehen.
Ob bzw. inwiefern die im Juni 2022 veröffentlichten Schlussanträge bzw. das Vorlageverfahren als Solches auf die Erfolgsaussichtenprüfung Einfluss zu nehmen vermag, wenn der Europäische Gerichtshof selbst noch kein Urteil gefällt hat, haben wir bereits in unserem Blogbeitrag vom 3. August 2022 berichtet.
Diesen Beitrag vertiefen wir an dieser Stelle unter Anführung eines aktuellen durch uns erstrittenen Urteils vor dem Landgericht Berlin (vom 22. September 2022, Az.: 23 O 132/21). In dem dortigen Sachverhalt ging es um einen Deckungsanspruch bzgl. eines Autokreditwiderrufes. Die Beklagte Rechtsschutzversicherung lehnte mit Schreiben vom 14. April 2021 die Deckung für die Berufung unter dem Verweis ab, das erstinstanzliche Gericht habe die Kriterien des BGH für ein Greifen des Treuwidrigkeitsweinwandes korrekt angewendet.  

Erst im September 2021 beantwortete der Europäische Gerichtshof die durch das Landgericht Ravensburg mit Entscheidung vom 5. März 2020 vorgelegten Verfahren (dortige Az.: 2 O 328/19, 2 O 280/19 und 2 O 334/19), die sich mit der Rechtsmissbräuchlichkeit des Verbraucherkreditvertragswiderrufs beschäftigte.
Nach Ansicht des Landgerichts Berlin steht eine eindeutige (ablehnende) BGH-Rechtsprechung den hinreichenden Erfolgsaussichten während eines schwebenden Vorabentscheidungsverfahren nicht entgegen: 

 „Zwar kann sich der Kläger nicht unmittelbar auf die im Tatbestand genauer bezeichnete Entscheidung des EuGH vom 9.9.2021 berufen. Bei der Prüfung, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht hat, ist auf den – hier bereits am 14.4.2021 liegenden – Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.12.2016 – 12 U 106/16).
Daraus, dass die EuGH-Entscheidung erst nach dem 14.4.2021 datiert, ist indes nicht zu schließen, dass europarechtliche Bedenken gegen einen Ausschluss des Widerrufsrechts aus Erwägungen nach § 242 BGB nicht bereits vorher vertretbar waren. Zwar sah der BGH selbst von einer Vorlage gegenüber dem EuGH ab, weil der Rechtsmissbrauchseinwand eine nach rein nationalem Recht zu beantwortende Frage sei. Dass jedoch bei einer durch eine europäische Richtlinie angestrebten Vollharmonisierung die nationalen Gerichte daran gehindert sein können, an einer Rechtsprechung festzuhalten, die mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel nicht in Einklang steht, hatte der EuGH zu diesem Zeitpunkt bereits in anderem Zusammenhang entschieden (vgl. zur RL 2002/65, EuGH, Urteil vom 11.9.2019 – C-143/18, Rn. 34 ff; zitiert nach: NJW 2019, 3290). Auch Erwägungsgrund 9 der vorliegend maßgeblichen Richtlinie 2008/48/EG sieht eine Vollharmonisierung vor.“ 

Anmerkungen 

Dem Landgericht zu Folge, ist eine existente und sich immer wieder bestätigende BGH-Rechtsprechung während eines laufenden Vorabentscheideverfahrens insofern bemäkelt, als dass sich das Vorabentscheideverahren auf eine europäische Richtlinie bezieht, die eine Vollharmonisierung anstrebt. Selbiges ist bei der im Dieselskandal derzeit in Streit stehenden Richtlinie 2007/46/EG der Fall (vgl. dortige Erwägungsgründe).
Damit bekräftigt auch das Landgericht Berlin, dass bei der Prüfung der Erfolgsaussichten im Deckungsstreit nicht allein auf die Leitjudikatur des Bundesgerichtshofs abgestellt werden darf – insbesondere, wenn die europarechtlichen Fragestellungen dem Europäischen Gerichtshof bereits vorgelegt worden sind.