BGH: Zur Geschäftsgebühr im Abgasskandal

von

Immer wieder besteht Streit zwischen Rechtsschutzversicherern und im „Abgasskandal“ tätigen Kanzleien darüber, ob die Kosten für eine vorgerichtliche Tätigkeit als Geschäftsgebühr abrechenbar sind. Abgesehen von den versicherungsrechtlichen Einwendungen (Mutwilligkeit, keine Erfolgsaussichten, Schadensminderungsobliegenheit etc.) wird vielfach argumentiert, diese Kosten seien auch von der Gegenseite nicht erstattungsfähig. Aber stimmt das wirklich? Wir haben die bisherigen Entscheidungen des BGH auf diese These hin überprüft und fassen das Ergebnis zusammen: 

1. Allgemeines  

Zunächst ist festzustellen, dass sich der BGH nur in einer sehr geringen Anzahl der Fälle zum Abgasskandal überhaupt mit der Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten befasst hat. Zwar liegen mittlerweile ca. 250 Entscheidungen des BGH (über alle Hersteller und Fallgestaltungen hinweg) vor, gleichwohl existieren im Bereich der deliktischen Ansprüche nur 12 Entscheidungen vor, die diese Fragestellung aufgreifen. 

2. Zu den Entscheidungen im Bereich deliktsrechtlicher Ansprüche 

Von den lediglich 12 Entscheidungen hat der BGH in 6 Fällen vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen und in 6 abgelehnt. Soweit der BGH eine Erstattungsfähigkeit angenommen hat, fällt auf, dass dies jeweils ohne weitere Begründung geschehen ist. Heißt, der BGH stellt eine grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der Kosten bei deliktischen Ansprüchen (hier: § 826 BGB) nicht in Frage, vgl.:

    • Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19

    • Urteil vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20

    • Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20 
    • Urteil vom 16.11.2021, Az.: VI ZR 291/20 
    • Urteil vom 21.04.2022, Az.: VII ZR 247/21 
    • Urteil vom 10.05.2022, Az.: VI ZR 156/20 

In den Verfahren, bei denen die vorgerichtlichen Kosten nicht zugesprochen wurden, lohnt sich ein tiefergehender Blick in die Begründung. Dadurch wird ersichtlich, dass es sich stets um Sonderfälle handelte, sodass auch hier eine grundsätzliche Erstattungsfähigkeit nicht in Frage gestellt wird: 

    • Urteil vom 30.06.2020, Az.: VI ZR 354/19: Anspruch auf Erstattung abgelehnt, weil der Kläger eine vorgerichtliche Tätigkeit nicht nachgewiesen hatte 
    • Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19: Die Revision hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten wurde als unzulässig zurückgewiesen (§ 552 Abs. 1, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO) 
    • Urteil vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20: Der Kläger hatte unzureichend dargelegt, dass dem Rechtsanwalt zumindest ein bedingter Klageauftrag erteilt wurde
    • Urteil vom 24.01.2022, Az.: VIa ZR 100/21: Erstattungsfähigkeit abgelehnt, da die Klage zeitgleich mit dem vorgerichtlichen Anspruchsschreiben versendet wurde, sodass es auf der Hand lag, dass eine vorgerichtliche Einigung nicht beabsichtigt war 
    • Urteile vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21 & VIa ZR 57/21: Keine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Rahmen des Restschadensersatzanspruches nach § 852 BGB 
    • Urteil vom 02.05.2022, Az.: VIa ZR 122/21: Erstattungsfähigkeit abgelehnt, da die Kosten auch im Parallelverfahren wegen Gewährleistungsrechten anhängig sind  

3. Zusammenfassung und Handlungsempfehlung 

Festzuhalten ist, dass das Argument der Versicherer, die Kosten seien nicht erstattungsfähig, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keinen Rückhalt findet. Vielmehr ergibt sich aus dieser genau das Gegenteil, wie insbesondere die Entscheidungen aus diesem Jahr zeigen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist insbesondere vor dem Hintergrund des Urteils vom 22. Juli 2021, Az.: VI ZR 353/20, dass die getrennte Beauftragung für die vorgerichtliche Tätigkeit bzw. der bedingte Klageauftrag ausreichend dokumentiert werden. Nur so kann – und auch hierauf ist zu achten – bezüglich der Beauftragung substantiiert vorgetragen werden, was dringend zu empfehlen ist. Hier sei nochmal erwähnt, dass die Hinweispflichten der Gerichte nur eingeschränkt bestehen, da es sich um eine Nebenforderung handelt (vgl. § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO).