AG Stuttgart: Deckungspflicht § 852 BGB (gebraucht&markenfremd)
In einem unserer Deckungsverfahren bestätigte nunmehr das Amtsgericht Stuttgart, dass auch für ein Berufungsverfahren in Fällen des Erwerbs eines „markenfremden“ Gebrauchtwagens zum relevanten Zeitpunkt Erfolgsaussichten bestanden und der Versicherer zur Deckung verpflichtet ist.
Zum Fall
Die Klägerin erwarb im Jahr 2014 einen mit dem Motortypen EA189 versehenen gebrauchten SEAT. Nach entsprechender Deckungszusage im Jahr 2020 erhob die Klägerin Klage, die jedoch vom Landgericht abgewiesen wurde, da Ansprüche aus § 826 BGB verjährt waren und die Volkswagen AG in Fällen wie dem vorliegenden nichts im Sinne des § 852 BGB “erlangt” habe. Der Rechtsschutzversicherer lehnte die Deckungszusage für das angefragte Berufungsverfahren im Juni 2021 ab, da aus seiner Sicht keine Erfolgsaussichten gegeben waren. Auch der angefertigte Stichentscheid wurde wegen angeblicher Abweichung von der Sach- und Rechtslage vom Versicherer zurückgewiesen. Nach Rücknahme der Berufung im Verfahren gegen Volkswagen begehrte die Klägerin nunmehr Freistellung von den Kosten der 2. Instanz gegenüber ihrem Rechtsschutzversicherer.
Die Entscheidung
Das Amtsgericht bestätigte, dass die Ansicht des Versicherers im Juni 2021 hinsichtlich der angeblich fehlenden Erfolgsaussichten fehlerhaft war.
Denn zu diesem Zeitpunkt, also im Juni 2021, hatte die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zwar ist heute mit der Rechtsprechung des BGH geklärt, dass weder in Fällen des Gebrauchtwagenkaufs noch in Fällen, bei denen das Fahrzeug nicht direkt von Volkswagen stammt, ein Anspruch aus § 852 BGB besteht (vgl. BGH, Urteile vom 10. Februar 2022, Az.: VII ZR 365/21, VII ZR 396/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21, VII ZR 717/21; sowie BGH, Urteil vom 14.07.2022 – VII ZR 422/21). Dies war zum hier entscheidenden Zeitpunkt der Deckungsablehnung allerdings noch anders. So erkennt das Amtsgericht, dass zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife die Frage der Anwendbarkeit des § 852 BGB von den Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet worden und eine höchstrichterliche Entscheidung des BGH noch nicht ergangen war. Soweit die Beklagte sich im Verfahren auf eben diese Entscheidungen berufen hatte, erläuterte das Amtsgericht zutreffend, dass diese nicht zu berücksichtigen sein. Vielmehr war die Ansicht der Klägerin als damals noch “vertretbar” einzustufen.
Anmerkungen
Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass es bei der Überprüfung einer Ablehnungsentscheidung des Versicherers insbesondere auf die Rechtslage zu diesem Zeitpunkt ankommt. Auf eine nachträgliche höchstrichterliche Klärung kann sich der Rechtsschutzversicherer nicht berufen. Damit stellt sich das Amtsgericht in eine Reihe mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte.
Fazit: Deckungsklagen zur Freistellung von Verfahrenskosten, die vom Rechtsschutzversicherer aus dem oben besprochenen Grund nicht getragen wurden, bieten damit eine hohe Erfolgsaussicht, soweit die Rechtslage zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife noch nicht eindeutig war – selbst dann, wenn nach Abschluss des Verfahrens entgegenstehende, höchstrichterliche Rechtsprechung ergeht.