AG Mitte: Verrechnung offener Geschäftsgebühren mit Rückforderungsansprüchen des Versicherers
Ein für die praktische Vorgehensweise vieler Rechtsanwälte höchst relevantes Urteil fällte am 16. August 2023 das Amtsgericht Mitte (Az.: 28 C 62/22).
Sachverhalt:
Der beklagte Anwalt vertrat seinen Mandanten außergerichtlich und gerichtlich (I. Instanz). Der Rechtsschutzversicherer des Mandanten hatte die Deckungszusage nur für die gerichtliche, nicht aber für die außergerichtliche Auseinandersetzung erteilt, da letztere nach Ansicht des Versicherers von vornherein aussichtslos sei. Die Vorschüsse für die gerichtliche Vertretung wurden von dem Versicherer ebenso wie auch der Gerichtskostenvorschuss bezahlt. Die Geschäftsgebühr blieb offen.
Nachdem die Hauptsache in erster Instanz vergleichsweise beendet werden konnte, kehrte die Gerichtskasse unverbrauchte Gerichtskosten (in Höhe von 2,0) auf das Konto des Rechtsanwalts auf.
Daraufhin trat der Rechtsschutzversicherer an den Rechtsanwalt heran und forderte die Zahlung dieses Betrages ein. Der Rechtsanwalt erklärte daraufhin die Aufrechnung mit seiner noch offenen Geschäftsgebühr.
Rechtliche Würdigung
Das Amtsgericht wies die Klage im Sinne des beklagten Rechtsanwalts überzeugend ab, und stellte hierbei Folgendes fest:
- dem Beklagten Rechtsanwalt stand gegen seinen Mandanten unstreitig eine Geschäftsgebühr wegen des außergerichtlichen Vorgehens zu;
- der klagende Versicherer ging – im Grunde berechtigt – nach § 86 VVG gegen den Beklagten vor. Da der Versicherer die Gerichtskosten bevorschusst hatte, war auch der Erstattungsanspruch gesetzlich auf ihn übergegangen;
- allerdings finden gem. § 412 BGB auch bei einem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 86 VVG die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 404ff. BGB Anwendung;
- da der Anspruch auf Auszahlung rückerstatteter (unverbrauchter) Gerichtskosten originär dem Mandanten zustand und erst qua cessio legis auf den Versicherer übergegangen war, konnte der Beklagte dem gesetzlichen Zessionar gegenüber seine Geschäftsgebührenforderung nach § 406 BGB aufrechnend entgegenhalten, § 398 BGB;
- insbesondere war der Anspruch des Mandanten im Zeitpunkt der Entstehung der Geschäftsgebühr noch nicht auf den Versicherer übergegangen, sodass auch eine die Aufrechnung ausschließende Kenntnis nach § 406 Hs. 2 BGB nicht anzunehmen war.
Das in der Sache zutreffende Urteil ermöglicht es Anwälten, langwierigen Streitigkeiten und Aktivprozessen gegen Versicherer bezüglich der außergerichtlichen Deckungserteilung elegant aus dem Weg zu gehen.
Hierbei sind folgende drei Dinge zu beachten:
- Bei den unverbrauchten Gerichtskosten handelt es sich nicht um Fremdgeld, welches nach § 4 Abs. 2 BORA zweckgebunden zur Auszahlung an andere als den Mandanten bestimmt ist. Der Forderungsübergang nach § 86 VVG ändert nichts an dem Umstand, dass dieses Fremdgeld grds. den Mandanten zusteht, weswegen ein Aufrechnungsverbot nach § 4 Abs. 2 BORA nicht vorliegt. Die Rechtsanwaltskammer Berlin hatte diesbezüglich bestätigt, dass die Aufrechnung berufsrechtlich unbedenklich sei.
- Das von den Versicherern häufig ins Feld geführte Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers ist vorliegend von rechtlicher Irrelevanz! An dieser Stelle werden auf Klägerseite häufig inhaltsleere Nebelkerzen gezündet.
- Der geschuldete Deckungsumfang, also die Frage, ob der Versicherer die außergerichtliche Tätigkeit unter Deckungsschutz hätte stellen müssen, ist für die Frage der möglichen Aufrechnung ebenfalls irrelevant. Auch hier versuchen die Versicherer häufig verwirrende Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen.
Werden Sie gerade wegen der Auskehr unverbrauchter Gerichtskosten (gerichtlich) in Anspruch genommen oder benötigen Sie beratende Unterstützung? Wir stehen Ihnen bei strategischer Entscheidung und in Einzelfällen gern zur Seite!