Alles rund um das Thema Rechtsschutz­versicherungsrecht

Keen Law Blog
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BGH

Minderungsobliegenheiten in ARB unwirksam – BGH IV ZR 279/17

Bereits mit Urteil vom 14.08.2019, Az: IV ZR 279/17 hatte der BGH § 17 Abs. 1 c) bb) ARB 2010 wegen Intransparenz für unwirksam erklärt. Das Urteil ist in zweierlei Hinsicht praxisrelevant: 

Einerseits hat der BGH – wie schon angesprochen – die (allgemeine) Schadensminderungsobliegenheit in den ARB 2010 für unwirksam erklärt. Demnach sollte der Versicherungsnehmer, soweit seine Interessen nicht unbillig beeinträchtigt werden, für die Minderung des Schadens im Sinne von § 82 VVG sorgen müssen. Er war also gehalten, die Rechtsverfolgungskosten so gering wie möglich zu halten. Auch wenn dieses Ergebnis mit Blick auf die in der Literatur verbreitete Ansicht nicht allzu überraschend ist, bestätigt der BGH diese nun. 

Andererseits hat der BGH aber auch festgehalten, dass das Handeln des Rechtsanwaltes dem Versicherungsnehmer hinsichtlich der vertraglichen Obliegenheiten in der Regel nicht zuzurechnen ist. § 278 BGB gilt bei versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nicht. Eine Zurechnung des Handelns Dritter komme im Versicherungsrecht zulasten des Versicherungsnehmers nur dann in Betracht, wenn der Dritte Repräsentant des Versicherungsnehmers ist. Eine Repräsentantenstellung ergibt sich aber nicht ohne weiteres daraus, dass der Rechtsanwalt die Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversicherer führt. 

 

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ARAG

Stellungnahme: ARAG – Die Nr. 1 dank Ablehnungsquoten und Regressjagd?

Bereits am 9. Dezember 2021 trat der Konzernsprecher der ARAG, Dr. Dirksen, zum Jahres-Pressegespräch vor das Mikrofon und legte die Unternehmenszahlen offen.

Ergebnis: „In Deutschland die Nummer 3 – aber weltweit die Nummer 1“

Auch der Bereich Rechtsschutzversicherungsrecht, der als „Krisenprodukt“ betitelt wurde, fand Erwähnung. So habe man bei 33.000 registrierten Schadensfällen im Dieselskandal lediglich 50 Mio EUR „an Kunden“ ausgezahlt, von denen man bereits 14 Mio EUR regressieren konnte – unterm Strich verbleiben weniger als 1.100,00 EUR Aufwendung pro Schadensfall.

Dies führe man insbesondere darauf zurück, dass eine jede Klageschrift der Verbraucheranwälte „von einem spezialisierten Teeam auf Konsistenz geprüft“ werde.

Der gesamte Bericht ist unter folgendem Link abrufbar:

https://www.bocquel-news.de/Als-Nr-1-weltweit-ist-Arag-weiter-auf-Wachstumsjagd.41646.php

Die Einschätzung der ARAG insbesondere die Darstellung der Aufwendungen im Dieselskandal werfen Fragen auf. Unabhängig des an dieser Stelle nicht weiter zu diskutierendem Deckungsverhalten der ARAG scheint es wenig verständlich, dass nahezu 30 Prozent der übernommenen Kosten auf dem Regressweg zurückgefordert werden müssen/können, wenn doch ein Team aus spezialisierten Volljuristen jede Klage geprüft haben will?

Ebenso anzuzweifeln scheint die Angabe von 14 Mio EUR realisierter Regressforderungen. Weder aus öffentlich zugänglichen (Urteils-)quellen, noch aus den einschlägigen Fachzeitschriften oder dem Austausch mit den größten im Dieselskandal tätigen Verbraucherkanzleien ist bekannt, dass die ARAG (sogar die Versichererbranche insgesamt) zum jetzigen Zeitpunkt oder bereits im Dezember Regressforderungen in auch nur ansatzweise entsprechender Höhe angemeldet, geschweige denn gerichtlich durchgesetzt hat.

Es bleibt abzuwarten, ob die „weiter auf Wachstumsjagd“ befindliche ARAG den Startschuss zu einer Regresswelle bereits abgegeben hat, die erst in den kommenden Wochen/Monaten sichtbar wird.

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Mutwillige Rechtsverfolgung bei Sachverständigenkosten

In zwei Entscheidungen hatten sich Gerichte mit der Frage einer mutwilligen Rechtsverfolgung wegen Sachverständigenkosten zu beschäftigen. 

 

Das OLG Hamm (Beschluss vom 11.06.2021, Az: I-20 W 9/21 (r+s 2021, 687)) hatte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darüber zu befinden, ob der in Anspruch genommene Rechtsschutzversicherer den bereits angeforderten Sachverständigenvorschuss in Höhe von 30.000,00 EUR zu zahlen habe. Nachdem der Antragsteller bereits vor dem Landgericht unterlegen war, wurde auch die sofortige Beschwerde durch das OLG zurückgewiesen. Der Versicherungsnehmer hatte nach entsprechender Deckungsanfrage eine Zusage erhalten, die allerdings dahingehend beschränkt wurde, dass keine Zusage hinsichtlich eines Sachverständigengutachtens erteilt werde, soweit dieses auf den Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung abzielt. Das OLG verneinte einen Verfügungsanspruch, da die Beschränkung der Deckungszusage nicht zu beanstanden sei, insbesondere sei es dem Versicherer nicht verwehrt gewesen, sich jetzt noch auf den Einwand der Mutwilligkeit zu berufen. 

 

Über einen ähnlichen Fall hatte das Landgericht Dortmund (Urteil vom 09.12.2021, Az: 2 O 133/21 (r+s 2022, 84)) zu entscheiden. Hier verlangte der Versicherungsnehmer eine uneingeschränkte Deckungszusage, nachdem die RSV den Deckungsschutz zwar erteilte, aber Sachverständigenkosten aufgrund von Mutwilligkeit von vornherein nicht unter Deckungsschutz stellte. Das Landgericht lehnte das klägerische Begehren ab und begründete die Mutwilligkeit damit, dass „gerichtsbekannt“ sei, dass für entsprechende Gutachten Kosten in „mittlerer fünfstelliger Höhe“ entstehen.  

 

Während bei der Entscheidung des OLG Hamm die Annahme der Mutwilligkeit im Hinblick auf Klageforderung und Höhe der Sachverständigenkosten naheliegend erscheint, ist in Anbetracht des Prüfungsmaßstabes fraglich, wie das Landgericht Dortmund eine Mutwilligkeit überhaupt prüfen konnte, da konkrete Kosten für ein Gutachten gar nicht bekannt waren. Hierbei pauschal auf Erkenntnisse aus anderen Verfahren abzustellen kann nicht überzeugen, zumal im Abgasskandal auch Gutachten beauftragt werden, bei denen die Kosten wesentlichen geringer sind als vom Landgericht angenommen. 

 

Das OLG Hamm vermischt währenddessen bei seiner Entscheidung die Möglichkeit einer beschränkten Deckungszusage und einer solchen, die ganz oder teilweise unter einem Vorbehalt steht. Ausweislich der Entscheidung handelte es sich um eine Teilablehnung hinsichtlich etwaiger Sachverständigenkosten wegen Mutwilligkeit und keinen Vorbehalt dahingehend, dass die Mutwilligkeit nochmal überprüft werde, wenn Sachverständigenkosten tatsächlich angefordert werden. Insofern überzeugt es nicht, wenn das OLG anführt, dass die Antragsgegnerin sich später noch auf Mutwilligkeit berufen konnte, weil „die Deckungszusage unter den Vorbehalt der vom weiteren Verlauf des Ausgangsrechtsstreits abhängigen Prüfung der Mutwilligkeit gestellt“ sei. Weiterhin hätte sich das OLG dann auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein entsprechender Vorbehalt überhaupt wirksam ist, da dies dem Sinn und Zweck der Deckungszusage eigentlich zuwider läuft. 

 

Soweit beide Gerichte die Möglichkeit der späteren Ablehnung wegen Mutwilligkeit als interessengerecht bezeichnen, wäre zu überlegen, ob der Versicherungsnehmer und auch der Versicherer tatsächlich an einem Klageverfahren interessiert sind, bei dem der Kläger ohnehin – aufgrund des fehlenden Sachverständigengutachtens – beweisfällig bleiben wird. 

 

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Zur Bindungswirkung eines Stichentscheides

Der Versicherer darf seine Leistungspflicht mit dem Argument, die angestrebte Rechtsverfolgung sei wegen mangelnder Erfolgsaussichten oder Mutwilligkeit nicht „notwendig“ nur versagen, wenn er seinem Versicherungsnehmer vereinbarungsentsprechend mit der Ablehnung anbietet, die Entscheidung durch ein „Gutachterverfahren oder ein anderes Verfahren mit vergleichbaren Garantien für die Unparteilichkeit“ überprüfen zu lassen (vgl. § 128 VVG).

Am häufigsten sehen die einschlägigen Versicherungsbedingungen die Erstellung eines Stichentscheids vor, deren Kosten die Versicherer regelmäßig unabhängig von dessen Ergebnis übernehmen. Auch die Bindungswirkung des Stichentscheides ist – jedenfalls ausweislich der Vertragswerke – unmissverständlich und für beide Seiten zwingend geregelt.

Ziel: der Versicherungsnehmer soll sich schnell und ohne Kostenrisiko klar darüber sein, ob seine Rechtsschutzversicherung nicht doch eintrittspflichtig ist.

Die Praxis sieht häufig anders aus: die Versicherer mängeln formale Nachlässigkeiten an – es läge schon keine gutachterliche Stellungnahme vor. Der „Stichentscheid“ weiche außerdem offensichtlich und erheblich von der tatsächlichen Sach- und/oder Rechtslage ab, das Ergebnis binde den Versicherer daher nicht.

Folge: Die Bindungswirkung und Deckungsverpflichtung muss über den (kostenrisikoträchtigen) Rechtsweg geklärt werden. Und auch in Konstellationen, in denen nach der Übersendung eines für den Versicherungsnehmer positiven Stichentscheides die Deckungszusage erteilt wird, werden die hierfür angefallenen Gebühren unter Anführung derselben Argumente nicht erstattet.

Die gedrehte Extrarunde „Stichentscheid“ führt so häufig zu einem unvergüteten Aufwand, an dessen Ende eine (Deckungs-)Klage notwendig ist.

 

Die Anforderung der Rechtsprechung an den Stichentscheid

Dabei ist dieser vorskizzierte Mehraufwand nicht zwingend. Wir beobachten, dass die Anforderungen an die Bindungswirkung des Stichentscheides durch die Versicherer häufig überspannt und Kostenrechnungen zu Unrecht nicht beglichen werden. Eine konsequente Inanspruchnahme der Versicherer bleibt häufig auch deshalb aus, weil eine Unsicherheit bezüglich der vorgebrachten Einwände besteht, insbesondere, wenn es „nur“ noch um die Durchsetzung der Gebühren aus dem Stichentscheid geht.

Dabei lassen sich die Anforderungen an einen „bindenden“ Stichentscheid anhand der erfreulich klar und äußerst beständigen Rechtsprechung gut abstrahieren.

Demnach muss sich der Stichentscheid um den formalen Anforderungen zu genügen hinreichend detailliert mit der streitigen Sach- und Rechtslage auseinandersetzen.  

Um in materieller Hinsicht Bindungswirkung zu entfalten, darf er nicht offensichtlich erheblich von der Sach- und/oder Rechtslage abweichen.

Eine sehr gute Orientierungshilfe bietet die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 1990 (Az.: IV ZR 214/88), die ohne Einschränkungen der heute noch herrschenden Rechtsprechung entspricht.

Hiernach ergeben sich folgende formale Anforderungen:

  • Der Stichentscheid muss sich mit dem entscheidungserheblichen Stoff auseinandersetzen, ihn darstellen und angeben, inwieweit für bestrittenes Vorbringen Beweis oder Gegenbeweis angetreten werden kann.
  • Rechtsprobleme sind unter Berücksichitigung von Lehre und Rspr. darzustellen, ein sich ggf. ergebenes (Prozess-)risiko ist aufzuzeigen.
  • „Streitentscheidend“ ist hierbei nur der Prozessstoff in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, auf den sich der Versicherer im Rahmen seiner Ablehnung bezieht. Der Stichentscheid muss sich also nicht mit weiteren möglichen Gründen, die für eine Erfolglosigkeit sprechen könnten, beschäftigen, die der Versicherer selbst nicht vorgebracht hat (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 28. Juni 2019, Az.: I-4 U 111/17 mit Verweis auf OLG Hamm, Urteil vom 14. Oktober 2011 Az.: I-20 U 92/10).
  • Der Umfang des Stichentscheides misst sich an der Komplexität des Streitstoffes, dem Stand der vorangegangenen Korrespondenz mit dem Rechtsschutzversicherer (und dessen dadurch begründeter Vorkenntnis) und dem Stadium, in dem sich die Interessenwahrnehmung jeweils befindet.
  • Eine bestimmte Form (etwa Überschreibung) des Stichentscheides ist nicht
  • Auch spätere Ergänzungen (etwa durch formlose Übermittlung von Schriftsätzen) sind zulässig und als ergänzende Stellungnahme zu berücksichtigen.

Zusammengefasst: die Auseinandersetzung mit den Einwänden unter Anführung sämtlicher vorgebrachter Argumente des Versicherers reicht, um von einer „gutachterlichen Stellungnahme“ im Sinne von § 128 VVG auszugehen.

In materieller Hinsicht darf der Stichentscheid nicht offensichtlich und erheblich von der tatsächlichen Sach- und/oder Rechtslage abweichen. Hierbei ist (zwingend) auf eine ex-ante-Betrachtung abzustellen. Der tatsächliche (negative) Ausgang des Rechtsstreits spielt für die Beurteilung keine Rolle.

Da die Abweichung „offensichtlich und erheblich“ sein muss, entfällt die Bindungswirkung aus diesen Gründen nicht bereits dann, wenn nicht sämtliche für oder gegen die Rechtsauffassung des Versicherungsnehmers streitenden Erwägungen mitgeteilt worden sind. Viel mehr ist ausreichend, dass das Ergebnis des Stichentscheides (nämlich die Beurteilung der nach den Maßstäben des § 114 ZPO zu prüfenden Erfolgsaussichten und der Mutwilligkeit) unter keinem tatsächlichen Sach- und/oder Rechtsstandpunkt vertretbar erscheint. Nicht erforderlich ist es, dass der Stichentscheid die herrschende Rechtsprechung oder Literatur wiederspiegelt. Diesbezüglich schreibt das OLG Düsseldorf (Urteil vom 28. Juni 2019, Az.: I-4 U 111/17 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 20.04.1994, Az.: IV ZR 209/92):

„Vertritt ein Rechtsanwalt hingegen von mehreren in Rechtsansichten diejenige, die zwar nicht der herrschenden Auffassung entspricht, aber doch nicht ganz abwegig erscheint, dann weicht seine Meinung noch nicht „offenbar“ von der wirklichen Sach- und Rechtsalge ab.“

Wichtig in diesem Zusammenhang: Der den formellen Anforderungen genügende Stichentscheid kehrt die Beweislast dergestalt um, dass der Versicherer im Prozess für die offensichtliche und erhebliche Abweichung des Stichentscheides von der Sach- und Rechtslage (und die damit einhergehende fehlende Bindungswirkung) beweisbelastet ist, vgl. BGH (a. a. O.):

„…so bindet die hierauf in einem Stichentscheid gestützte Bejahung von Erfolgsaussicht die Parteien des Rechtsschutzversicherungsvertrages, solange nicht derjenige, der die Bindungswirkung anzweifelt, beweist, daß die Stellungnahme "offenbar von der wirklichen Rechtslage erheblich abweicht.“

 

Benötigen Sie weitere Hilfe zu diesem Thema? Wir von Keen Law fertigen für Sie gerne Stichentscheide an setzen deren Bindungswirkung sowie die angefallenen Gebühren bei fortwährend weigerlicher Haltung der Versicherer durch!

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BGH

BGH: Anwaltsregress bei Deckungszusage

Der Bundesgerichtshof hat sich mit seiner Entscheidung vom 16. September 2021 (Az.: IX ZR 165/19) mit der Frage des Anwaltsregresses bei bestehender Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers beschäftigt – und diesen bejaht.

Das Urteil hat in der Anwalts- und Rechtsschutzversicherungsbranche für Aufsehen gesorgt: Versicherer kündigen vielfach Regressforderungen an. Kanzleien sind verunsichert, ob und wie sie ihr Aufklärungsverhalten gegenüber ihren Mandanten anpassen sollten.

Die Entscheidung hat zweifelsohne Auswirkung auf die Praxis. Gleichwohl scheint sie vielerseits auch überinterpretiert zu werden.

 

Zum Sachverhalt

Geklagte hatte eine Rechtsschutzversicherung, bei der mehrere Kläger einer Jenaer Kanzlei versichert waren, aus übergegangenem Recht (§ 86 VVG). Die Versicherungsnehmer hatten Finanzdienstleister gerichtlich in Anspruch genommen, die nun klagende Rechtsschutzversicherung ihre Deckungszusage erteilt.

Die beklagte Kanzlei hatte vergeblich versucht, die Ansprüche der Mandanten über eine Anmeldung zur Gütestelle zu hemmen. Die Anmeldungen gingen deshalb fehl (mit der Folge, dass eine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB ausblieb), weil die Beklagte diese nicht hinreichend konkret individualisierte.

Die Besonderheit: Diese Individualisierungsanforderung wurde erstmals 2015 durch den BGH gestellt (III ZR 198/14). Zu diesem Zeitpunkt waren die streitgegenständlichen Verfahren bereits rechtshängig. Die Klagen wurden wegen eingetretener Verjährung instanzweise abgewiesen. Teilweise wurden Rechtsmittel eingelegt, die ohne Erfolg blieben. Auch hierfür waren vorher Deckungszusagen eingeholt worden.

 

Zusammengefasst: Im Zeitpunkt der Erhebung der Klage(n) konnte diesen noch Aussicht auf Erfolg attestiert werden. Während der Verfahrensdauer veränderte sich die Erfolgsprognose dergestalt, dass Klagen (und Rechtsmittel) nun als aussichtslos einzustufen gewesen wären.

Die Deckungszusage für die Klageerhebung und dennoch erfolgte Rechtsmitteleinlegung wurde seitens der nun klagenden Versicherung erteilt.

 

 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Der Bundesgerichtshof ist der Klägerin in den hier (rechtsschutzversicherungsrechtlich) relevanten Punkten gefolgt.

Im Wesentlichen hat der Bundesgerichtshof ausgeführt:

  • Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung auf die § 86 VVG Anwendung findet (zustimmend BGH III ZR 198/14).
  • Dem Übergang des Regressanspruches des Mandanten auf den Versicherer nach § 86 Abs. 1 VVG steht dessen Deckungsanspruch gegen den Versicherer nicht entgegen: „Ein Schädiger solle nicht deswegen entlastet werden, weil ein Versicherer den Schaden deckt.“
  • Der Anspruch des Versicherers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er selber die Deckung für das aussichtslose Verfahren erteilt Das Ablehnungsrecht des Versicherers ist nicht in eine Ablehnungspflicht umzudeuten. Die Deckungszusage entfaltet keine Schutzwirkung gegenüber dem Rechtsanwalt. Auch Treu und Glauben verpflichtet den Versicherer nicht, seine Prüfberechtigung als Art Haftungsschutz gegenüber dem Anwalt ausüben zu müssen.
  • Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, seinen Mandanten über die konkreten Erfolgsaussichten einer Klageerhebung zu belehren. Hierzu können auch individuelle Umstände wie die Rechtsprechung des örtlich und sachlichen Spruchkörpers gehören. Die vollkommene Aussichtslosigkeit einer Klage muss klar herausgestellt und der Mandant ggf. von einer Rechtsverfolgung abgebracht
  • Die Beratungspflicht endet nicht mit der Einleitung des Verfahrens. Über eine veränderte rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage muss der Anwalt den Mandanten ebenso aufklären wie vor der Klageerhebung. Von der Einlegung von Rechtsmitteln muss im Zweifel abgesehen bzw. eingelegte Rechtsmittel müssen kostenmindernd zurückgenommen werden.
  • Die Aufklärungs- und Beratungspflicht unterscheidet sich nicht danach, ob ein Mandant rechtsschutzversichert ist bzw. einen Deckungsanspruch hat, oder nicht. Denn ob der Mandant seinen Deckungsanspruch geltend machen möchte, liegt in seiner alleinigen Entscheidungshoheit. Um diese Entscheidung treffen zu können, muss er umfangreich aufgeklärt sein.
  • Sofern dem Anwalt eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung anzulasten ist, muss der Kläger (Versicherer) nach 287 ZPO beweisen, dass diese für den eingetretenen Schaden kausal ist. Bei Vorliegen nur einer einzig vernünftigen Alternative wird das aufklärungsgerechte Alternativverhalten im Rahmen des (durch den Anwalt zu erschütternden) Anscheinsbeweises vermutet. Der Anscheinsbeweis kommt allerdings dann nicht zum Tragen, wenn der Mandant rechtsschutzversichert ist und wenigstens geringe Erfolgsaussichten vorliegen, da Mandanten mit geringem/keinem Kostenrisiko auch bereit sein können, kleinste Erfolgsaussichten nutzen zu wollen. Ist das Vorgehen allerdings aussichtslos, wird der Anscheinsbeweis zu Lasten des Anwaltes angewandt.

 

Anmerkungen

Die Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen auf die Praxis!

Dass der erteilten Deckungszusage im Rahmen des Regressprozesses nicht einmal dann aus Treu und Glaube heraus Bedeutung zukommen soll, wenn die Deckung für aussichtslose Prozesse sehenden Auges und ohne Weisungsgebung erteilt wird, dürfte den Arbeitsalltag vieler Kanzleien beeinflussen. Und dies nicht, weil diese Kanzleien – wie der Bundesgerichtshof andeuten lässt – rechtsschutzversicherte Verfahren ungeprüft in die Klage entlassen. Sondern, weil die Praxis zeigt, dass die Versicherer auch kleinere Aufsichtspflichtsverletzungen deutlich eher als Anlass zur Regressklage nehmen, als nicht versicherte Mandanten. Es besteht die konkrete Gefahr, dass das rechtsschutzversicherte Mandat zu einem überdurchschnittlich hohem Regressrisiko für den Anwalt verkommt. Diese Prognose gilt selbstredend nicht für die gesamte versicherungsrechtliche Branche. Es kristallisieren sich aber bereits erste Versicherer heraus, die geradezu überakribisch nach „Fehlern“ zu suchen scheinen.

Mit dieser Situation müssen die Kanzleien nun umgehen. Ihnen sei dringend geraten, ihre Aufklärungsworkflows an der durchaus strengen Anforderungen dieses und weiterer Urteile zu orientieren und laufende Mandate ggf. nachzubelehren.

 

Auch im Übrigen wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofes an vielen Stellen kritisiert. So wendet der BGH § 86 VVG an, ohne sich mit der vielfach diskutierten Frage auseinanderzusetzen, ob der Anwalt überhaupt „Dritter“ im Sinne von § 86 VVG sein kann. Schließlich versichert die RSV den Versicherungsnehmer nicht gegen einen pflichtwidrig arbeitenden Prozessbevollmächtigten, sondern gegen den Anspruchsgegner.

Als für die Anwaltschaft durchaus positiv einzuordnen ist sicherlich die Nichtanwendbarkeit des Anschensbeweises des aufklärungsgerechten Verhaltens bei rechtsschutzversicherten Mandanten und wenigstens „geringen“ Erfolgsaussichten. Leider lassen die Entscheidungsgründe die Praxis aber im Unklaren darüber, wann nun von Aussichtslosigkeit auszugehen ist und wann wenigstens geringe Erfolgsaussichten anzunehmen sein dürfen.

Auch hier sei der Anwaltschaft vorsorglich angeraten, die Zustimmung der Mandanten für kostenauslösende Tätigkeiten angesichts geringer Erfolgsaussichten einzuholen, um den Regressanspruch trotz ggf. feststehender Pflichtverletzung an der Kausalität scheitern zu lassen.

Es bleibt zu konstatieren, dass die gestellte Hürde an die fortlaufende Aufklärung und die Unbedeutsamkeit der Deckungszusage einer Versicherung mit Blick auf mögliche Regressforderungen durch die Anwaltschaft ernst genommen und interne Abläufe ggf. optimiert werden sollten. Insbesondere mit Blick auf den nicht anwendbaren Anscheinsbeweis sollte die Entscheidung aber nicht zu düster verstanden werden.

 

Benötigen Sie weitere Hilfe zu diesem Thema? Wir von Keen Law beraten Sie gerne in der Angelgenheit und übernehmen die Verteidigung gegen Regressforderungen der Versicherer.