Alles rund um das Thema Rechtsschutz­versicherungsrecht

Keen Law Blog
Blog Teaser Image

Keen Law

Anforderungen an einen Stichentscheid (Berufung)

Das Stichentscheids-Verfahren stellt ein immer wiederkehrendes und für den ein oder anderen Bearbeiter zuweilen wohl auch leidvolles Thema dar. Um etwas Licht ins Dunkle zu bringen haben wir uns bereits in vergangenen Beiträgen mit den Anforderungen, die an einen Stichentscheid zu stellen sind, beschäftigt. An dieser Stelle soll der Blick auf eine bislang noch nicht beleuchtete Konstellation gerichtet werden: den Stichentscheid für das Berufungsverfahren.  

In diesem Verfahrensstadium befinden sich aktuell zahlreiche Verfahren der zweiten Klagewelle des Diesel-Abgasskandals. Viele Versicherer zeigen sich (soweit kaum verwunderlich) nach einem Unterliegen in erster Instanz nicht im Besonderen motiviert, auch das Risiko des Berufungsverfahren zu übernehmen und wenden auch hier regelmäßig die mangelnden Erfolgsaussichten ein. Nicht zuletzt diese Erkenntnisse aus dem Tagesgeschäft sollen Anlass bieten, um sich mit den Besonderheiten des Stichentscheidverfahrens im Rahmen der Berufung auseinander zu setzen. 

Das Grundgerüst bleibt gleich 

Wie auch in jedem anderen Verfahrensstadium gilt zunächst, dass der Stichentscheid eine von der Interessenvertretung losgelöste Beurteilung der Sach- und Rechtslage darstellt. Im grundlegenden Aufbau unterscheidet sich der für ein erstinstanzliches Vorgehen angefertigte Stichentscheid nicht von einem solchen, der die Erfolgsaussichten einer Berufung zu beurteilen hat. D. h., dass der entscheidungserhebliche Streitstoff darzustellen und anzugeben ist, inwieweit für bestrittenes Vorbringen Beweis oder Gegenbeweis angetreten werden kann. Darüber hinaus sind die sich ergebenden Probleme unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Rechtslehre herauszuarbeiten.  

Erweiterte Anforderungen im Berufungsverfahren

Auf den ersten Blick schiene es ausreichend, aufzuzeigen, wie das erstinstanzliche Urteil angegriffen werden kann. Demnach wären vor allem Rechts- und Verfahrensfehler darzulegen. Allein dieser Maßstab käme den tatsächlichen Anforderungen im Berufungsverfahren aber nicht gerecht. Der Anwalt muss über die nach seiner Einschätzung vorliegenden Rechtsfehler hinaus auch darlegen, dass bei Vermeidung der in seiner Stellungnahme zuvor aufgezeigten Fehler eine Abänderung des Urteils zu Gunsten des Versicherungsnehmers erfolgen müsste (so OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 25.03. 2015, Az.: 7 U 24/14). 

Trotzdem reicht es nach den allgemeinen Anforderungen auch hier, wenn sich der Stichentscheid “nur” auf die Punkte bezieht, auf die der Rechtsschutzversicherer zuvor die Deckungsablehnung gestützt hat. Diese bildet nach wie vor den Prüfungsmaßstab für das anzustellende Gutachten.  

Zur Veranschaulichung soll folgendes Beispiel aus dem Abgasskandal dienen:
Der Versicherungsnehmer unterliegt in erster Instanz mit seiner auf § 826 BGB gestützten Klage. Das Gericht führt zur Begründung aus, er habe keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Gleichwohl bestünde der Anspruch nach § 826 BGB mangels vorwerfbarer Sittenwidrigkeit auch bei unterstelltem Vorliegen der Abschalteinrichtung nicht.
Der Versicherungsnehmer legt nun Berufung u.a. mit der Begründung ein, das Gericht habe seinen Vortrag zur einer Abschalteinrichtung rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen. Gelangt der Stichentscheid ebenfalls zu diesem Ergebnis, so reicht das indes nicht aus, um den Anforderungen in diesem Verfahrensstadium gerecht zu werden. Denn die unterlassene Würdigung von Tatsachenvortrag ist zwar ein angreifbarer Rechtsfehler. Gleichwohl müsste das Urteil bei Vermeidung dieses Fehlers nicht abgeändert werden, weil das Gericht die Haftung nach § 826 BGB dennoch abgelehnt hätte. Insofern müsste sich der Stichentscheid dann auch mit der Frage beschäftigen, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung auch zur Annahme eines vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens führt.  

Aber:
Eine gutachterliche Stellungnahme zu dieser Fragestellung im Sinne einer Abwägung verschiedener Ansichten muss nur dann erfolgen, wenn sich das Argument in der Ablehnung des Versicherers wiederfindet. Bezieht diese sich hingegen nur auf fehlende Anhaltspunkte zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung, könnte im Stichentscheid unterstellt werden, dass der Versicherer die Sittenwidrigkeit im Übrigen bejaht hätte, die Ansicht des Instanzgerichts hinsichtlich der fehlenden vorwerfbaren Sittenwidrigkeit mithin selbst nicht teilt.  

Fazit 

Es zeigt sich, dass der Stichentscheid im Berufungsverfahren erhöhten Anforderungen gerecht werden muss, die sich der Rechtsanwalt vor Abfassen seiner Stellungnahme vergegenwärtigen sollte. Gleichwohl bleibt die Argumentation des Versicherers maßgebliche Marschroute für den Prüfungsumfang des Stichentscheids. 

Blog Teaser Image

EuGH

Berücksichtigung der Schlussanträge (EuGH, C-100/21) im Deckungsverfahren

Seit Jahren beschäftigt der Abgasskandal nicht nur Gerichte und Rechtsanwälte, sondern auch Versicherer. Zwischen 2017 und 2019 wurden bundesweit mehr als 206.000 rechtsschutzgedeckte Individualklagen gegen VW eingereicht. Nachdem diese erste Klagewelle weitestgehend abgeflacht ist, beschäftigte sich die zweite Klagewelle im Kern mit der Frage des sog. „Thermofensters“. Den auf diese temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems gestützten Ansprüchen steht der BGH jedenfalls unter Ansatz der in diesen Verfahren beigebrachten Tatsachen kritisch gegenüber (vgl. Nur Az.: VI ZR 433/19). Insbesondere vermochte er in den europarechtlichen Normen keinen Drittschutz zu erkennen. Nach den dazu in Widerspruch stehenden Schlussanträgen des Generalanwalts des EuGH vom 2. Juni 2022 und der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes vom 30. Juni 2022 dürfen Fahrzeugkäufer wieder hoffen. Haben nun auch Versicherungsnehmer Grund zur Freude oder ist mit der negative Leistungsentscheidung des Versicherers bereits abschließend über den Deckungsschutz entschieden? 

 Das OLG Schleswig und der maßgebliche Zeitpunkt der Bewilligungsreife 

In einer jüngst vor dem OLG Schleswig am 21. Juni 2022, Az.: 16 U 53/22 gefällten Entscheidung stand diese Frage im Mittelpunkt. Der Kläger begehrte von der Beklagten Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung in Form von Kostendeckung für die Erhebung einer sogenannten «Diesel-Klage» gegen den Hersteller BMW. Der Versicherer erhob den Einwand mangelnder Erfolgsaussichten und lehnte die Deckung im November 2021 ab. Der Senat zog bei seiner Entscheidung ausschließlich Rechtsprechung von vor November 2021 heran, namentlich den erwähnten Beschluss des BGH vom 19. Januar 2021. Hingegen bezog er die rechtlichen Ausführungen des Generalsanwalts des EuGH in seinen Schlussanträgen zum Verfahren des EuGH C-100/21 vom 2. Juni 2022 nicht ein.

Für die Frage, ob dem Rechtsschutzbegehren des Versicherungsnehmers hinreichende Erfolgsaussichten zu attestieren sind, ist auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen - insoweit besteht in der Rechtsprechung Einheit. Das ist frühestens der Tag, an welchem dem Versicherer alle zur Leistungsentscheidung notwendigen Unterlagen vorliegen und spätestens der Tag, an dem der Versicherer den Deckungsschutz ablehnt. Ohne sich mit den die Auffassung des Generalanwaltes stützenden Entscheidungen und Meinungen in Rspr. und Literatur auseinanderzusetzen, gelangte der Senat zu dem Ergebnis, dass die rechtlichen Ausführungen des Generalanwalts des EuGH in seinen Schlussanträgen zum Verfahren des EuGH C-100/21 nicht zu berücksichtigen seien.

Gegenwind aus dem Süden 

Eine andere (und überzeugendere) Rechtsauffassung brachte hingegen das Amtsgericht München in einem Anerkenntnisurteil vom 22. Juli 2022, Az.: 132 C 8577/22 zum Ausdruck. Das Amtsgericht hatte sich dabei im Rahmen der Kostenentscheidung mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit der Versicherer möglicherweise durch seine Deckungsablehnung Anlass i.S.d. § 93 ZPO zur Klage geboten hatte. Auch die dort gegenständliche Deckungsablehnung ließ die Schlussanträge des Generalanwalts unberücksichtigt - zu Unrecht, wie das Gericht feststellte. Die Schlussanträgen des Generalanwalts stellten keinen neuen „Gesichtspunkt“ dar, sondern verdeutlichten lediglich, wie das ohnehin und von vorneherein geltende europäische Recht richtigerweise zu verstehen sei. Mit anderen Worten: die vom Versicherer vertretene Rechtsauffassung war von Anfang an unrechtmäßig. Die Schlussanträge waren bei der Überprüfung der Leistungsentscheidung zu berücksichtigen, auch wenn sie erst nach Eintritt der Bewilligungsreife gestellt wurden.   

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des LG Stuttgart vom 18. September 2020, Az.: 3 O 236/20, in der es zur Aussetzung analog § 148 ZPO und zur Vorlage an den EuGH kam. Dieser Entscheidung lag die Erwägung zugrunde, dass das abschließende Wahrscheinlichkeitsurteil zu den Erfolgsaussichten der Klage erst nach Anrufung des Europäischen Gerichtshofs beantwortet werden könne. Dadurch kommt die klare Rechtsauffassung der Kammer zum Ausdruck, nach der auch eine nach Deckungsablehnung ergehende Entscheidung des EuGH bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten zu berücksichtigen ist. 

Fazit 

Das OLG Schleswig wendet die Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife auf den ersten Blick konsequent an und lässt sämtliche Urteile, die nach dem Tag der Bewilligungsreife ergehen, außer Betracht. Diese “Konsequenz” erweist sich bei genauerer Betrachtung allerdings als Trugschluss. Das OLG übersieht, dass der Inhalt der Schlussanträge auch vor dem Plädoyer des Generalanwaltes bereits vertreten wurde.  Es verkennt weiter, dass eine nach Bewilligungsreife zusprechende Rechtsprechung die “damalige” Erfolgswahrscheinlichkeit schlicht und ergreifend indiziert. Denn eine Rechtsauffassung kann nicht unvertretbar sein, wenn sie durch später ergehende positive Rechtsprechung bestätigt wird (“ohne Erfolgsaussichten kein späterer Erfolg.”). Die Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH zum Verfahren des EuGH C-100/21 vom 2. Juni 2022 sind damit indiziell für das Vorliegen der hinreichenden Erfolgsaussicht des Vorgehens des Versicherers im Zeitpunkt der Bewilligungsreife heranzuziehen.  

Blog Teaser Image

BGH

BGH: Zur Geschäftsgebühr im Abgasskandal

Immer wieder besteht Streit zwischen Rechtsschutzversicherern und im „Abgasskandal“ tätigen Kanzleien darüber, ob die Kosten für eine vorgerichtliche Tätigkeit als Geschäftsgebühr abrechenbar sind. Abgesehen von den versicherungsrechtlichen Einwendungen (Mutwilligkeit, keine Erfolgsaussichten, Schadensminderungsobliegenheit etc.) wird vielfach argumentiert, diese Kosten seien auch von der Gegenseite nicht erstattungsfähig. Aber stimmt das wirklich? Wir haben die bisherigen Entscheidungen des BGH auf diese These hin überprüft und fassen das Ergebnis zusammen: 

1. Allgemeines  

Zunächst ist festzustellen, dass sich der BGH nur in einer sehr geringen Anzahl der Fälle zum Abgasskandal überhaupt mit der Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten befasst hat. Zwar liegen mittlerweile ca. 250 Entscheidungen des BGH (über alle Hersteller und Fallgestaltungen hinweg) vor, gleichwohl existieren im Bereich der deliktischen Ansprüche nur 12 Entscheidungen vor, die diese Fragestellung aufgreifen. 

2. Zu den Entscheidungen im Bereich deliktsrechtlicher Ansprüche 

Von den lediglich 12 Entscheidungen hat der BGH in 6 Fällen vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen und in 6 abgelehnt. Soweit der BGH eine Erstattungsfähigkeit angenommen hat, fällt auf, dass dies jeweils ohne weitere Begründung geschehen ist. Heißt, der BGH stellt eine grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der Kosten bei deliktischen Ansprüchen (hier: § 826 BGB) nicht in Frage, vgl.:

    • Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19

    • Urteil vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20

    • Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20 
    • Urteil vom 16.11.2021, Az.: VI ZR 291/20 
    • Urteil vom 21.04.2022, Az.: VII ZR 247/21 
    • Urteil vom 10.05.2022, Az.: VI ZR 156/20 

In den Verfahren, bei denen die vorgerichtlichen Kosten nicht zugesprochen wurden, lohnt sich ein tiefergehender Blick in die Begründung. Dadurch wird ersichtlich, dass es sich stets um Sonderfälle handelte, sodass auch hier eine grundsätzliche Erstattungsfähigkeit nicht in Frage gestellt wird: 

    • Urteil vom 30.06.2020, Az.: VI ZR 354/19: Anspruch auf Erstattung abgelehnt, weil der Kläger eine vorgerichtliche Tätigkeit nicht nachgewiesen hatte 
    • Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19: Die Revision hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten wurde als unzulässig zurückgewiesen (§ 552 Abs. 1, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO) 
    • Urteil vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20: Der Kläger hatte unzureichend dargelegt, dass dem Rechtsanwalt zumindest ein bedingter Klageauftrag erteilt wurde
    • Urteil vom 24.01.2022, Az.: VIa ZR 100/21: Erstattungsfähigkeit abgelehnt, da die Klage zeitgleich mit dem vorgerichtlichen Anspruchsschreiben versendet wurde, sodass es auf der Hand lag, dass eine vorgerichtliche Einigung nicht beabsichtigt war 
    • Urteile vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21 & VIa ZR 57/21: Keine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Rahmen des Restschadensersatzanspruches nach § 852 BGB 
    • Urteil vom 02.05.2022, Az.: VIa ZR 122/21: Erstattungsfähigkeit abgelehnt, da die Kosten auch im Parallelverfahren wegen Gewährleistungsrechten anhängig sind  

3. Zusammenfassung und Handlungsempfehlung 

Festzuhalten ist, dass das Argument der Versicherer, die Kosten seien nicht erstattungsfähig, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keinen Rückhalt findet. Vielmehr ergibt sich aus dieser genau das Gegenteil, wie insbesondere die Entscheidungen aus diesem Jahr zeigen.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist insbesondere vor dem Hintergrund des Urteils vom 22. Juli 2021, Az.: VI ZR 353/20, dass die getrennte Beauftragung für die vorgerichtliche Tätigkeit bzw. der bedingte Klageauftrag ausreichend dokumentiert werden. Nur so kann – und auch hierauf ist zu achten – bezüglich der Beauftragung substantiiert vorgetragen werden, was dringend zu empfehlen ist. Hier sei nochmal erwähnt, dass die Hinweispflichten der Gerichte nur eingeschränkt bestehen, da es sich um eine Nebenforderung handelt (vgl. § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO). 

Blog Teaser Image

Keen Law

Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach (unberechtigter) Deckungsablehnung

Dass der Versicherungsnehmer auch nach (unberechtigter) Deckungsablehnung weiterhin Obliegenheiten zu erfüllen hat, ist eine seitens des Versicherers in der Praxis gern aufgestellte Behauptung, um unliebsame Ansprüche des Versicherungsnehmers abzuwehren. Dabei ist es überaus fraglich, ob der Versicherungsnehmer tatsächlich dem leistungsunwilligen Versicherer gegenüber weiterhin zur Einhaltung von Obliegenheiten gehalten ist.  

1. Auffassung in Rechtsprechung und Literatur

Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur wirkt sich die Deckungsablehnung in Schadensversicherungen derart aus, dass keinerlei Obliegenheiten mehr durch den Versicherungsnehmer erfüllt werden müssen.  

 So stellt das OLG Köln mit Urteil vom 22. Februar 2000, Az.: 9 U 74/99 (zur Rechtsschutzversicherung konkret) fest:  

„Grundsätzlich treffen die Versicherungsnehmer nach Ablehnung der Versicherungsleistung keine Obliegenheiten mehr“. 

 Ähnlich sehen es beispielsweise auch Prölss/Martin, VVG § 28 Rn. 77:  

Grds. treffen den VN keine Obliegenheiten mehr nach Ablehnung des Entschädigungsanspruchs (st. Rspr.; BGHZ 107, 368, 371 = VersR 1989, 842f.; BGH VersR 2007, 1116 Rn. 15; 2013, 609 Rn. 18 [dazu Langheid, FS E. Lorenz, 2014, §. 241]; Dresden r+s 2017, 354, 356; Jena VersR 2019, 1209, 1213; Saarbrücken VersR 2019, 353, 356 [obiter]; OGH VersR 2009, 854, 856).“ 

 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz käme lediglich in Betracht, wenn der Versicherer nach erteilter Deckungsablehnung die Leistungsprüfung (ggf.) erneut aufnehmen möchte und zu diesem Zweck dem Versicherungsnehmer zu erkennen gibt, dass dieser weiterhin Obliegenheiten zu erfüllen hat, soweit die Erfüllung zumutbar erscheint (vgl. Prölss/Martin, VVG § 28 Rn. 78 m. w. N.). 

2. Zustimmend: Berufen auf Obliegenheitsverletzung treuwidrig

Der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ist zuzustimmen. Im Falle einer endgültigen Ablehnung des Deckungsschutzes durch den Versicherer endet auch die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Erfüllung der Obliegenheiten. Denn ein Berufen des Versicherers auf Obliegenheitsverletzungen nach ausdrücklich erteilter Deckungsablehnung ist treuwidrig. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 242 BGB, dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“). Der Versicherer verhält sich widersprüchlich, wenn er die Deckung erst in (unberechtigter) Weise ablehnt und dann im Nachhinein trotzdem weiterhin die Einhaltung irgendwelcher Obliegenheiten des Versicherungsnehmers fordert.  

 Ersichtlich geht der Versicherer davon aus, dass er den Deckungsschutz (in unberechtigter Weise) und ohne Folgen zu fürchten ablehnen darf, der Versicherungsnehmer aber gleichzeitig sämtliche Obliegenheiten einhalten muss, um vollständigen Versicherungsschutz zu erhalten. Dies widerspricht schon dem Grundgedanken eines gegenseitigen Vertrages. Denn ein Vertragspartner kann die Einhaltung der vertraglichen Pflichten nur dann einfordern, wenn er sich selbst vertragsgetreu verhält. 

 In der (unberechtigten) Leistungsverweigerung des Versicherers liegt jedoch die Verletzung einer primären Pflicht aus dem Versicherungsvertrag. Wird die Deckung abgelehnt, bringt der Versicherer damit unweigerlich zum Ausdruck, dass zwischen ihm und dem Versicherungsnehmer aufgrund des zugrundeliegenden Sachverhalts keinerlei (gegenseitige) Rechte, Pflichten oder Obliegenheiten bestehen.  

Beruft sich der Versicherer dennoch auf eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers, indem er von diesem fordert auch nach Deckungsablehnung noch sämtliche Pflichten und Obliegenheiten eingehalten zu haben, an die er selbst sich aber bis heute nicht gebunden fühlt, handelt er offensichtlich widersprüchlich.  

3. Ergebnis

  • Nach (unberechtigter) Deckungsablehnung bestehen keine Obliegenheiten des Versicherungsnehmers mehr. 
  • Dem Versicherer ist es zudem wegen des eigenen (vertragswidrigen) Verhaltens aus Treu und Glauben verwehrt, sich auf etwaige Obliegenheitsverletzungen zu berufen. 
Blog Teaser Image

LG Krefeld

LG Krefeld: Zur Bindungswirkung eines Stichentscheides

1. Einleitung

In der Praxis entpuppt sich die verlockende Option, auf Kosten des Versicherers eine bindende Stellungnahme abzugeben und so ohne Deckungsklage zur begehrten Rechtsschutzzusage zu kommen, oft als Märchen, weil die Versicherer die Anforderungen an Stichentscheid entweder viel zu hoch ansetzen oder aber völlig verkennen. In einem Beitrag aus April 2022 haben wir bereits die formalen und materiellen Anforderungen an einen Stichentscheid dargestellt. Das Urteil des LG Krefeld vom 23. März 2022, Az.: 2 O 221/21, greift diese Voraussetzungen wunderbar auf und beschäftigt sich überdies mit dem für die Prüfung der Erfolgsaussichten maßgeblichen Zeitpunkt. 

2. Zum Sachverhalt

Der Kläger fragte (vor Entscheidung des BGH zum „Thermofenster“) Deckungsschutz für eine Klage im „Diesel-Abgasskandal“ an, wobei er seine Ansprüche gegen den Hersteller zunächst auf außerhalb der NEFZ-Messungen deutlich erhöhte Schadstoffwerte stützte. Der Versicherer verneinte die hinreichenden Erfolgsaussichten mangels objektiver Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung. In dem daraufhin angefertigten Stichentscheid verwies die Klägervertreterin auf gerichtliche Entscheidungen, nach denen es sich bei einem Thermofenster, welches im klägerischen Fahrzeug verbaut sei, um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Der Versicherer blieb unter Versagung der Bindungswirkung des Stichentscheids bei einer Deckungsablehnung. Das LG Krefeld gab der durch die Klägerin (nach Entscheidung des BGH zum Thermofenster) erhobenen Deckungsklage unter Feststellung der Bindungswirkung des Stichentscheids statt. 

3. Voraussetzungen der Bindungswirkung  

Das LG ging zunächst auf die formelle Wirksamkeit des Stichentscheids ein und stellte fest, dass die Klägervertreterin auch in der Deckungsanfrage noch nicht erwähnte Gesichtspunkte – hier: Ausführungen zum Thermofenster – berücksichtigen durfte. Denn damit sei sie lediglich dem Einwand des Versicherers, es bestünden keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltvorrichtung, entgegengetreten. Ein Stichentscheid müsse (nur) so ausreichend begründet sein, dass er hinreichend erkennen lasse, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art die Meinung des Versicherers nach Ansicht des Rechtsanwalts unrichtig sei.  

Hier wird deutlich, dass die formellen Anforderungen an einen Stichentscheid eher niedrig sind: Alles, was über einen bloßen Verweis auf die Abwegigkeit der vom Versicherer geäußerten Bedenken hinausgeht, kann formal als Stichentscheid betrachtet werden. 

Sodann beschäftigte sich das Gericht mit den materiellen Anforderungen und damit mit der Frage, ob der Stichentscheid offenbar von der Sach- und Rechtslage abwich. Hierbei ging das Gericht nun auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife ein. Die Bindungswirkung des Stichentscheids könne nicht dadurch entfallen, dass der BGH zwischenzeitlich zulasten der Käufer eines mit dem Thermofenster ausgestatteten Fahrzeugs entschieden habe. Denn zum Zeitpunkt der Ablehnung durch den Versicherer war die Auffassung, nach der das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sei und eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nach § 826 BGB indiziere, mangels entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung vertretbar. Dass der BGH nunmehr entscheiden habe, dass der Einbau eines Thermofensters nicht zwingend zur Annahme der Sittenwidrigkeit führe, ließe die Bindungswirkung des Stichentscheids nicht mehr entfallen. 

Im Übrigen stellte das Gericht fest, dass der Stichentscheid auch dann Bindungswirkung entfalte, wenn ein Hauptsacheverfahren noch nicht eingeleitet sei. Davon ging der Versicherer aus, weil er annahm, zunächst nur Deckung für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu schulden. Ein solches Stufenverhältnis zwischen außergerichtlichem und gerichtlichem Vorgehen muss aber in den ARB vorgesehen sein. 

Blog Teaser Image

Keen Law

Reichweite der Präklusion (Primäre Leistungsbegrenzung)

Im Streit mit Rechtsschutzversicherern um die Gewährung von Deckungsschutz ist zwischen primären und sekundären Leistungsbegrenzungen zu unterscheiden.  

  • Bei den „sekundären“ Einwänden handelt es sich um die altbekannten Argumente der fehlenden Erfolgsaussicht oder der Mutwilligkeit. Ist ein Stichentscheid angefertigt worden und möchte sich der Versicherer an diesen nicht gebunden fühlen, weil er „offensichtlich von der Sach- und Rechtslage abweicht“ oder akzeptiert er ihn wegen Formalitätsverstößen (etwa „kein unabhängiges Gutachten“) nicht, bewegen wir uns ebenfalls auf der „sekundären“ Leistungsbegrenzungsebene. Für diese ist der Versicherer grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet. 
  • Anders verhält es sich hinsichtlich der „primären“ Leistungsvoraussetzungen bzw. -begrenzungen. Diese umfassen all diejenigen Voraussetzungen, die als Grundlage für einen Deckungsschutz vorliegen müssen, um sich in der Folge überhaupt die Frage der Erfolgsaussichten oder Mutwilligkeit stellen zu dürfen, etwa: 
    • die Frage der Aktiv- und Passivlegitimation,
    • die Frage, ob der angezeigte Versicherungsfall überhaupt vom Vertragsinhalt erfasst ist, oder
    • die Frage der Vorvertraglichkeit.

Für das Vorliegen all dieser Umstände ist der Versicherungsnehmer darlegungs- und beweisbelastet.  

In der Regel verweist der Versicherer im Rahmen seiner Deckungsablehnung auf das (Nicht-)Vorliegen der primären Leistungsvoraussetzungen. Gelegentlich kommt es allerdings vor, dass eine solche Verteidigung erst im laufenden Deckungsverfahren vorgebracht wird. In diesen Fällen muss die Frage gestellt werden, ob überhaupt und wenn ja mit welcher Verzögerung entsprechende Einwände noch berücksichtigt werden können. Denn es scheint naheliegend, dass der Versicherungsnehmer ein berechtigtes Interesse daran hat, im Rahmen der ersten Korrespondenz unmissverständlich mitgeteilt zu bekommen, welche Hürden (Einwände) er insgesamt bis zu einem erfolgreichen Deckungsschutz zu nehmen hat. Hierbei wird es ihm regelmäßig gleichgültig sein, auf welcher der beiden Leistungsbegrenzungsebenen die Argumente ausgetauscht werden. Allerdings sehen die einschlägigen Bedingungswerke keine Präklusionsregelung („unverzüglich“, o. ä.) für die primären Leistungsbegrenzungseinwänden vor.
Dennoch scheinen die Versicherer nach der wohl herrschenden Rechtsprechung aus allgemeinen Erwägungen heraus gehalten zu sein, entsprechende Bedenken an den Voraussetzungen des Deckungsschutzes möglichst frühzeitig vorzubringen. Andernfalls liefen sie Gefahr, sich diesen Einwand wegen des durchgreifenden Vorwurfes rechtsmissbräuchlichen Verhaltens abzuschneiden. So hat das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 20. März 2019, Az.: 7 U 8/18) entschieden, dass sich ein Versicherer auf die fehlende Aktivlegitimation des Klägers nicht mehr berufen kann, wenn er mit ihm außergerichtlich korrespondiert und in diesem Zusammenhang keinerlei Zweifel an der Aktivlegitimation geäußert hat:  

„Jedenfalls handelt die Beklagte aber rechtsmissbräuchlich, wenn sie die Aktivlegitimation des Klägers in Abrede stellt. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs des Versicherers kommt in Fällen der vorliegenden Art insbesondere dann in Betracht, wenn er schon vor Klageerhebung mit dem Versicherten korrespondiert hat und dadurch keinen Zweifel daran aufkommen ließ, sich trotz seiner anders lautenden Vertragsbedingungen auf eine Abwicklung des Schadensfalls mit dem Versicherten anstelle des Versicherungsnehmers einzulassen. Vor dem Hintergrund der widerspruchslos mit dem Bevollmächtigten des Klägers geführten vorgerichtlichen und dann auch gerichtlichen Korrespondenz handelt die Beklagte treuwidrig, wenn sie erstmals im Schriftsatz vom 14.06.2017, bei dem Landgericht eingegangen am 05.10.2017, den Einwand fehlender Aktivlegitimation erhebt. Er ist deshalb nicht zu berücksichtigen.“ 

Noch deutlicher äußert sich das Amtsgericht Köln (Urteil vom 17. März 2014, Az.: 142 C 118/13). In diesem Verfahren hatte die beklagte Rechtsschutzversicherung die Deckung für das erstinstanzliche Verfahren erteilt. Nachdem dieses verloren gegangen und die Deckung für die Berufung abgelehnt worden war, berief sie sich nun im Rahmen des Deckungsverfahrens erstmalig auf den Einwand der (unstreitig gegebenen) Vorvertraglichkeit. Hiermit dringt sie nach der überzeugenden Ansicht des Amtsgerichts nicht durch:

„Danach lag im vorliegenden Fall Vorvertraglichkeit vor.

Gleichwohl ist es dem Beklagten verwehrt sich in Hinblick auf die Kosten des Berufungsverfahrens auf die Vorvertraglichkeit zu berufen, da sie zuvor der Klägerin für die erste Instanz eine Deckungszusage erteilt hatte ohne sich auf die Vorvertraglichkeit zu berufen und damit einen Vertrauenstatbestand (§ 242 BGB) geschaffen hat. 

(…)

Die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung ist ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, durch welche ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird. Durch sie werden Einwendungen und Einreden ausgeschlossen, die Rechtsschutzversicherer bei Abgabe der Zusage bekannt waren oder mit denen er zumindest rechnen musste. Ausweislich des § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB ist der Versicherer verpflichtet den Umfang des bestehenden Versicherungsschutzes zu bestätigen (…). Über den Wortlaut von § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB hinaus muss die Ablehnung schriftlich erfolgen (…).Teilt der Rechtsschutzversicherer seinen Willen zur Ablehnung der Deckungszusage nicht unverzüglich mit, verliert er das Recht, sich auf fehlende hinreichende Erfolgsaussicht, Mutwilligkeit oder andere Ablehnungsgründe zu berufen (…). Der Rechtschutzversicherer legt sich somit bei Erteilung der Deckungszusage in der Bewertung der ihm bei Prüfung bekannten Umstände in dem Umfang fest wie er dies schriftlich niederlegt. Verbleiben ihm Zweifel hat er dies durch Vorbehalte zum Ausdruck zu bringen. 

Auf dieser Grundlage ist die Beklagte mit der Einwendung, dass der Rechtschutzfall vorvertraglich ist, vorliegend ausgeschlossen. Der Beklagten waren bei Erteilung der Deckungszusage für die erste Instanz alle Umstände bekannt, die für sie die Schlussfolgerung zuliessen, dass eine Vorvertraglichkeit vorlag. (…) 

An dieser Bewertung ändert sich auch nichts dadurch, dass dem Rechtschutzversicherer bei einem durch mehrere Instanzen gehenden Rechtschutzfall für jede Instanz ein Prüfungsrecht zusteht (van Bühren/Plote/Hillmer-Möbius, § 17 ARB, Rn. 30). Dieses Prüfungsrecht gewährt dem Rechtschutzversicherer nach Auffassung der erkennenden Abteilung nicht die Möglichkeit, in jeder Instanz alle bereits bekannten aber bislang nicht erhobenen oder vorbehaltenen Einwendungen und Einreden neu zu erheben, vielmehr beschränkt sich dieses Prüfungsrecht auf die Bewertung der nunmehr eingetretene neue prozessuale Situation sowie zwischenzeitlich bekannt gewordener neuer Umstände und gewährt damit nur die Erhebung der sich hieraus ergebenden Einwendungen und Einreden. (…). Mit der dem Versicherungsnehmer in § 17 Abs. 1 lit c) aa) ARB auferlegten Verpflichtung vor der Einlegung von Rechtsmitteln die Zustimmung des Versicherers einzulegen, soll nicht die bereits zuvor nach § 17 Abs. 2 ARB erteilte Deckungszusage in Frage gestellt werden, sondern nur der Versicherer vor weiteren kostenauslösenden Maßnahmen in Bezug auf denselben Rechtsschutzfall geschützt werden, die gerade durch die neue Situation des für den Versicherungsnehmers negativen Ausgang des bisherigen Verfahrens entstehen können. Dass der Versicherer diese Prüfung nicht zum Anlass nehmen kann, vorher übersehene Einwendungen nunmehr zu erheben gebietet dabei der Vertrauensschutz, insbesondere der Grundsatz des Verbotes des widersprüchlichen Verhaltens. Der Versicherungsnehmer muss sich bei einem Rechtschutzfall Gewissheit verschaffen könne, in welchem Umfang seine Versicherung ihm bei der Führung des Verfahrens Deckungsschutz gewährt. Er kann erwarten, dass ihm alle vor Beginn einer Rechtsstreitigkeit der Versicherung bekannten Einwendungen und Einreden mitgeteilt werden, damit er sein Verhalten hierauf einstellen und die bei ihm verbleibenden (Kosten-) Risiken abschätzen kann. Wird ihm vorbehaltlos Deckungsschutz gewährt muss er davor geschützt werden, dass ihm eine Fortsetzung des Verfahrens nach für ihn negativen Abschluss der Instanz etwa aufgrund eines fehlerhaften Urteiles deswegen verwehrt wird, weil es bereits zuvor an den Voraussetzungen des Deckungsschutzes fehlte und er nunmehr auf eigene Kosten das fehlerhafte Urteil anfechten muss oder, weil er die Kosten nicht tragen kann, aufgeben muss. Würde man dem Versicherer also gestatten, die Fortführung des Rechtsstreites zum Anlass zu nehmen, den Deckungsschutz einer neuen umfassenden Prüfung zu unterziehen und die Prüfung nicht nur auf neue Umstände insbesondere die Erfolgsaussichten des konkreten Rechtsmittels zu beschränken, würde die einmal vorbehaltlos erteilte Deckungszusage in ihrem vertrauensstiftenden Wert für den Versicherungsnehmer ausgehölt; denn solange der Versicherungsnehmer befürchten muss, dass die Versicherung ihm trotz bestehender Erfolgsaussicht die Kostendeckung für ein Rechtsmittel gegen eine fehlerhafte Entscheidung versagt, wird er unter Umständen von vornherein auf die Wahrung seiner Rechte verzichten.“ 

Gleichwohl für die Einwände der primären Leistunsbegrenzungen eine ausdrückliche Präklusionsvorschrift fehlt, spricht v. a. die Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers dafür, dass der Versicherer sämtliche an seiner Leistungspflicht Zweifel begründenden Einwände zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorzubringen hat, um mit ihnen im Gerichtsverfahren noch gehört zu werden.  

Blog Teaser Image

Keen Law

Abwehrdeckung nach geleisteter Zahlung?

In der jüngeren Vergangenheit ist immer wieder zu beobachten, dass einige Versicherer bereits geleistete Zahlungen (insbesondere auf die Geschäftsgebühr) zurückfordern und mitteilen, man habe sich (nun) dazu entschieden, dem Anspruchsbegehren des Versicherungsnehmers durch Erteilen von Abwehrdeckung gegen die (beglichene) Gebührenforderung nachzukommen. Der Anwalt wird sodann darauf verwiesen, sich wegen der Durchsetzung seiner Gebühren an seinen Mandanten zu wenden.  

Was ist die „Abwehrdeckung“?

Der Begriff der Abwehrdeckung stammt aus dem Versicherungsrecht. Der Versicherungsnehmer hat gegen seinen Versicherer kein unbedingtes Recht darauf, dass der Versicherer sämtliche Kosten im Rahmen des Rechtsstreits zahlt. Der Anspruch auf Versicherungsschutz geht nur so weit, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer zusichert, diesen von sämtlichen Kosten freizustellen. Diese Freistellung kann – muss aber eben nicht – durch Zahlung auf bestimmte Rechnungen erfolgen. Andernfalls müsste der Versicherer auch auf überhöhte bzw. unbegründete Anwaltsrechnungen leisten, um diese Zahlungen in der Folge (unter voller Belastung mit dem Ausfallrisiko) wieder zurückzufordern. In der Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. April 2018, Az.: IV ZR 215/16) ist daher anerkannt, dass der Versicherer für all diese Ansprüche, die er für unbegründet hält, „Abwehrdeckung“ erteilen kann. Der Versicherungsnehmer kann sich auf diesem Weg risikofrei verklagen lassen: denn der Versicherer zahlt die Kosten des Gebührenverfahrens und verpflichtet sich, die in diesem Verfahren zugesprochenen Ansprüche ohne weiteren Einwand zu begleichen.  

Kritik an dem Modell der Abwehrdeckung wird vielfach und insbesondere aus der Anwaltschaft geäußert. Denn der Anwalt ist auf diesem Weg gezwungen, Klage gegen seinen eigenen Mandanten einzureichen. Diesem dann verständlich zu erläutern, dass der dann anzustrengende Rechtsstreit wirtschaftlich zwischen dem Versicherer und Rechtsanwalt, tatsächlich aber über den Schreibtisch des Mandanten ausgetragen wird, ist schwer und führt in der Praxis häufig zu einer Abstandnahme von einzelnen Forderungen.  

Abwehrdeckung nach Zahlung?

Auf die Ausgangssituation zurückkommend gilt daher Folgendes: Der Versicherungsnehmer hat gegen seinen Versicherer einen Anspruch auf Freistellung von den geforderten Anwaltskosten in Form von Zahlung oder Erteilen der Abwehrdeckung. Der Versicherer hat ein echtes Wahlrecht gem. § 262 BGB. Dieses hat er in den vorliegenden Konstellationen regelmäßig durch die geleistete Zahlung auf die Gebührenrechnung des Rechtsanwaltes mit einer doppelten Rechtsfolge (jdfls. Konkludent) ausgeübt: 

1. Zum einen erlischt der Freistellungsanspruch gem. § 362 Abs. 1 BGB

2, Zum anderen gilt die gewählte Erfüllungsart als die von Anfang an allein geschuldete, § 263 Abs. 2 BGB

Das erstmalige Ausübend es Wahlrechts kann unter Berücksichtigung der Gläubigerschutzgesichtspunkte nur unter engen Voraussetzungen wieder aufleben, etwa, wenn die geleistete Zahlung erfolgreich kondiziert werden kann, was unter anderem wg. § 814 BGB regelmäßig nicht gelingen kann.  

Zusammenfassend: Der Versicherer ist grundsätzlich nicht in der Lage, nachträglich (heißt: nach geleisteter Zahlung) Abwehrdeckung zu erteilen.  

Blog Teaser Image

OLG Karlsruhe

OLG Karlsruhe: Deckungsschutz für Wirecard-Anleger

Ein spannendes und praxisrelevantes Urteil sprach das OLG Karlsruhe am 7. April 2022, Az: 12 U 285/21 (BeckRS 2022, 7282) im Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung von Ansprüchen aufgrund des Wirecard-Skandals.

Zum Fall

Der Kläger begehrte von seinem Rechtsschutzversicherer Deckungsschutz für die außergerichtliche und erstinstanzliche Rechtsverfolgung von Ansprüchen gegen die Vorstände „Dr. B.“, „M.“ sowie die „E. GmbH Wirtschaftprüfungsgesellschaft“ wegen des Erwerbs von Wirecard-Aktien. Die RSV verweigerte den Deckungsschutz wegen vermeintlich fehlender Erfolgsaussichten, Mutwilligkeit und weil der Kläger die bereits anhängigen Verfahren in gleicher Sache abzuwarten habe (Warte- und Schadensminderungsobliegenheit). Das erstinstanzliche Gericht (LG Mannheim, BeckRS 2021, 49955) verurteilte den Versicherer antragsgemäß.

Zur Entscheidung

Das OLG Karlsruhe bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, wonach Deckungsschutz zu erteilen ist und wies die Berufung des beklagten Versicherers zurück.

Hinsichtlich der Erfolgsaussichten stellte das OLG klar, dass die Ansicht des Klägers – ihm stünden Ansprüche gegen die Anspruchsgegner aus § 826 BGB zu – zumindest vertretbar sei. Hinsichtlich der entsprechenden Tatbestandsmerkmale habe der Kläger ausreichend vorgetragen. Auch stehe es den Erfolgsaussichten nicht entgegen, dass das LG München Klagen anderer Anleger bereits abgewiesen habe, denn das OLG München hat in einem Berufungsverfahren darauf hingewiesen, dass eine Beweisaufnahme notwendig sein dürfte. Im Hinblick auf die ungeklärten Rechtsfragen bedarf es im Deckungsprozess keiner Entscheidung, denn diese sind allein im Hauptprozess zu klären.

Das Berufen der Beklagten auf Mutwilligkeit blieb ebenfalls ohne Erfolg. Dem Kläger sei ein Abwarten auf Entscheidungen in anderen (gleichgelagerten) Fällen schon deshalb nicht zuzumuten, weil hier die Gefahr einer Insolvenz besteht, sodass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der zügigen Titulierung und Vollstreckung seiner Ansprüche hat. Soweit die Beklagte die Mutwilligkeit damit zu begründen versuchte, das Vermögen der Anspruchsgegner würde ggf. nicht ausreichen, um die Anleger zu befriedigen, habe sie trotz der sie treffenden Darlegungs- und Beweislast weder substantiiert vorgetragen noch Entsprechendes belegt.

Im Hinblick auf eine etwaige Warteobliegenheit des Klägers, den Ausgang anderer Verfahren abzuwarten, hielt das OLG fest, dass eine solche sich zunächst nicht aus § 17 ARB ergebe, da die Regelung unwirksam sei (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.08.2019, Az: IV ZR 279/17). Eine solche ergebe sich aber auch nicht aus § 82 VVG, da es dem Kläger schon aufgrund einer möglichen Verjährung seiner Ansprüche und der nicht auszuschließenden Insolvenz nicht zugemutet werden könne andere Verfahren abzuwarten.

Anmerkungen

Hinsichtlich Erfolgsaussichten nimmt das OLG Karlsruhe – wie schon vielfach – eine mustergültige Prüfung vor. Vollkommen richtig stellt es (nahezu) ausschließlich auf den Vortrag des Klägers im Hinblick auf die relevanten Tatbestandsmerkmale ab. Sodann wird berechtigterweise aufgezeigt, dass die abweisende Entscheidung des LG München in einem vergleichbaren Fall den Erfolgsaussichten nicht entgegensteht, insbesondere weil das OLG München eine Beweisaufnahme für erforderlich erachtete – was an sich schon für die Annahme von Erfolgsaussichten ausreicht.

Leider ließ sich das OLG nicht dazu verleiten, die weiterhin unbeantwortete Frage, inwiefern § 82 VVG in Form eines Weisungsrechts auf Rechtsschutzversicherungsverträge überhaupt anwendbar ist, zu beantworten. Im Hinblick auf die Argumentation des Gerichts, ist es aber nachvollziehbar, dass die Fragestellung offengelassen wurde.

Insgesamt überzeugt das Urteil und erinnert an die ersten Auseinandersetzungen mit RSVen im Abgasskandal. Dort wurden von den RSVen nahezu identische Argumente vorgebracht, die schon damals ganz mehrheitlich von der Rechtsprechung mit entsprechender Begründung abgelehnt wurden.

 

Es bleibt spannend...

 

Blog Teaser Image

Keen Law

GDV-Zahlen: Nur 717 Deckungsklagen 2021

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat kürzlich seine Zahlen zu den in 2021 geführten Ombudsmannverfahren und Deckungsprozessen veröffentlicht. Nach Aussagen des Verbandes stehen einer mittleren vierstelligen Anzahl an Beschwerden lediglich 717 geführte Deckungsklagen im gesamten Jahr 2021, verteilt über die gesamte Rechtsschutzbranche gegenüber.

Thomas Lämmrich, Leiter Unfall, Rechtsschutz, Assistance bei dem GDV schrieb hierzu bei bei LinkedIn:

“Die niedrige #Deckungsprozessquote ist übrigens auch ein Erklärungsansatz für etliche #Ombudsmannbeschwerde. Denn in der Rechtsschutzversicherung besteht kein Versicherungsschutz für Klagen gegen den Rechtsschutzversicherer selbst. Das wird durch das für die Versicherten #kostenfreie Versicherungsombudsmann-Verfahren aufgefangen. Bis zu einem Beschwerdewert von 10.000 EUR ist der Versicherer übrigens an die Entscheidung des Ombudsmannes #gebunden.”

Gleichzeitig sieht Lämmrich das uralte Klischee, die RSV gehöre seit jeher zu den konfliktträchtigsten Versicherungsparteien, als widerlegt an. Setze man nämlich die Zahl beider Prozesse (Ombundsmannverfahren und Deckungsprozesse) in das Gesamtverhältnis der nach seiner Aussage rund 4 Mio. Schadensfällen, käme man zu dem Ergebnis, das 99,9 Prozent der Rechtsschutzfälle reibungslos reguliert werden würden.

Diese Einschätzung entspricht jedenfalls hinsichtlich der in 2021 geführten Massenschadensfällen (Diesel/Automotive, PKV, Kreditwiderrufe und co.) in keiner Weise unserer Erfahrung und den Erkenntnissen unserer Partnerkanzleien.

Die (erstaunlich) niedrige Zahl der geführten Deckungsklagen lässt sich wohl ohne Weiteres auf das mit einem Deckungsklageverfahren verbundenen Kostenrisiko zurückführen. Aber auch der Umstand, dass die meisten Verbraucherkanzleien fast schon traditionell den Fokus eher auf die plausiblen und gedeckten Hauptsachestreitigkeiten legen, als sich zunächst über Jahre (man denke auch an den steigenden Nutzungsersatz) mit den Versicherern auseinanderzusetzen, wird einen immensen Einfluss (gehabt) haben.

Demgegenüber sind Ombudsmannverfahren zwar für den Versicherungsnehmer kostenfrei – ein erstattungsfähiger Anspruch für das Führen des Schlichtungsverfahrens ergibt sich allerdings nicht, sodass das Verfahren zwar für Versicherungsnehmer attraktiv erscheint, sich für Rechtsanwälte aber häufig nicht (in der Masse) rentabel bearbeiten lassen wird.

Im Ergebnis wird der allergrößte Teil der (unberechtigten) Ablehnungen daher schlicht aus Kosten-/Nutzen-/Aufwandserwägungen heraus auf der Strecke geblieben sein. Dieser Fakt dürfte die Einordnung der Statistik durch den GDV erheblich trüben.

Wie aussagekräftig die diesjährigen Zahlen des GDV am Ende tatsächlich sind, wird sich aber am ehesten nach den Jahresergebnissen 2022 und 2023 zeigen – wenn auch die ersten prozesskostenfinanzierten Deckungsverfahren sich in Zahlen niederschlagen.