Alles rund um das Thema Rechtsschutz­versicherungsrecht

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OLG Hamm

OLG Hamm zu § 25 VRB

OLG Hamm (I-20 U 11/22) zu § 25 VRB: Kein Deckungsschutz, weil das Fahrzeug bei Kaufvertragsabschluss nicht auf den Versicherungsnehmer zugelassen war

Eine wohl für die Parteien wie auch für alle anderen versicherungsrechtlich Interessierten überraschende Entscheidung traf vor wenigen Wochen das OLG Hamm in einem von uns nicht vertretenen Verfahren.  

Gegenstand des dortigen Rechtsstreits war die Frage des Deckungsschutzes für die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal. Während das erstinstanzliche Gericht die Klage noch unter Verweis auf fehlende Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgewiesen hatte (was mit Blick auf ein weiteres Urteil des OLG Hamm vom 5. März 2023, Az.: 20 U 144/22 wohl nicht gehalten worden wäre), sah das OLG Hamm die Berufung hier allein deshalb als unbegründet an, weil der Erwerbsvorgang des an sich versicherten Fahrzeugs nicht unter den Versicherungsschutz gefallen sein sollte. 

Zum Hintergrund: 

Der hier verklagte Versicherer (ADAC) hat sich bisher (soweit bekannt) in vergleichbaren Auseinandersetzungen “nur” mit dem klassischen Einwand der fehlenden Erfolgsaussichten verteidigt. Eine Ablehnung des Deckungsschutzes mit dem Verweis, der Erwerbsvorgang falle an sich bereits nicht unter den Versicherungsschutz, existierte bislang auch in sämtlichen weiteren regulierten Fällen nicht. Gleiches galt für die Verteidigungslinie des ADAC in einschlägigen Gerichtsverfahren.   

Auch in dem Verfahren vor dem OLG Hamm war es nicht der ADAC, sondern das Gericht selbst, welches Zweifel an den primären Voraussetzungen des Versicherungsschutzes äußerte. Grundlage war die zwischen den Parteien vereinbarte Klausel des § 25 VRB, der auszugsweise wie folgt lautet: 

(1) Versicherungsschutz besteht für den Versicherungsnehmer sowie dessen Ehepartner oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Partner und die minderjährigen Kinder in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Fahrer und Insassen aller auf diese Personen zugelassenen Pkw, Kombis, zulassungspflichtigen Krafträder und Wohnmobile. Auf die versicherten Personen zugelassene Anhänger und Wohnwagen sind beitragsfrei mit versichert. 

Der ADAC stützt sich nun darauf, dass nach dem Wortlaut der Klausel Versicherungsschutz nur für solche Fahrzeuge bestehe, die auf die versicherten Personen zugelassen sind, was sinnlogisch beim Abschluss eines Kaufvertrages (noch) nicht der Fall sein kann. 

Die Begründung des OLG Hamm 

Diese Argumentation beruht auf dem Urteil des OLG Hamm. Das Gericht geht zunächst (der wohl herrschenden Meinung entsprechend) davon aus, dass der Rechtsschutzfall im sog. Abgasskandal mit dem Abschluss des Kaufvertrages über das Fahrzeug eintritt. 

Sodann gelangt das OLG zu der Erkenntnis, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer (der hier den Maßstab für eine Klauselauslegung vorgibt) die Klausel nur so verstehen kann, dass die Beklagte den Versicherungsschutz erst ab dem Zeitpunkt der Zulassung des Fahrzeuges gewähren möchte. Verstöße, die sich vor Zulassung ereignet haben, sollen „für den Versicherungsnehmer erkennbar“ nicht vom Versicherungsschutz umfasst sein. Die ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut:  

„in seiner Eigenschaft als Eigentümer, Halter …aller auf diese Personen zugelassenen Pkw“. 

Auch steht dem (anscheinend nach Hinweis des Gerichts) erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Einwand durch die Beklagte der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen, so das OLG weiter.  

Die Beklagte habe sich zwar weder vorgerichtlich „als auch – zunächst – in dem Rechtsstreit“ hierauf nicht berufen, sondern ausschließlich mangelnde Erfolgsaussichten angeführt. Da die Beklagte aber weder das grundsätzliche Bestehen des Versicherungsschutzes bestätigt habe noch dem Kläger in gleichgelagerten Fällen Deckungsschutz gewährt wurde, sei es der Beklagten unter Vertrauenschutzgesichtspunkten nicht verwehrt, sich hierauf zu berufen. Vielmehr handle es sich bei der Frage, ob überhaupt Versicherungsschutz besteht, um eine „von Amts wegen“ zu prüfende Schlüssigkeitsvoraussetzung, die auch nicht „unstreitig“ sein könne. 

Kritikpunkte 

Die Entscheidung des OLG Hamm vermag nicht zu überzeugen. Falsch ist schon, dass der ADAC in der Vergangenheit den Versicherungsschutz dem Grunde nach bei einem vereinbarten Leistungspaket nach § 25 VRB nicht bestätigt haben soll. Das (tausendfache) Gegenteil ist der Fall. Auch die rechtliche Wertung des Oberlandesgerichts ist – insbesondere mit Blick auf die vorgenommene Auslegung der Klausel – durchgreifend zu kritisieren. Trotz der Aktualität des Urteils finden sich bereits jetzt entsprechende Gegenansichten in der Instanzrechtsprechung wieder.  

So sieht das Landgericht Heilbronn (Az.: II 4 O 222/22) die Auslegung als zu eng an und stellt vor allem darauf ab, dass der Versicherungsnehmer die Eigenschaften “Eigentümer, Halter etc.” als prägend für den Versicherungsschutz ansehen und davon ausgehen wird, dass von der Klausel zumindest auch solche Fälle erfasst sein sollen, bei denen zwischen Erwerb und Zulassung ein enges Zeitfenster im Sinne eines einheitlichen Vorgangs gegeben ist. 

Anders – aber mit gleichem Ergebnis – argumentiert das Landgericht Hildesheim (Az.: 3 O 237/22), dass im Rahmen des § 25 VRB unter anderem auch Rechtsschutz im Vertrags- und Sachenrecht besteht (was unstreitig der Fall ist). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daher erkennen, dass auch vertragliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Fahrzeug vom Versicherungsschutz umfasst sind. Dass dies aber nur hinsichtlich von Auseinandersetzungen der Fall sein soll, die (erst) nach Zulassung entstehen (z.B. mangelhafte Reparaturen), während die in der Praxis wesentlich relevanteren Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs ausgeklammert werden sollen, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Versicherungsbedingungen gerade nicht (ohne Weiteres) entnehmen. 

Dieses Verständnis dürfe (nach Auffassung des Landgerichts Heilbronn) im Übrigen auch dem des Versicherers entsprechen. Denn dieser wirbt auf seiner Internetseite unter expliziter Bezugnahme auf § 25 VRB damit, dass der Verkehrsrechtsschutz unter anderem „Schutz bei Problemen beim Gebrauchtwagenkauf bieten soll“.  

Anmerkungen 

Die Ergebnisse wie auch die diesen zugrunde liegenden Auslegungen der Landgerichte Heilbronn und Hildesheim sind zutreffend. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird mit dem Wortlaut der Klausel insbesondere auf die Eigenschaft als Eigentümer abstellen, wobei für ihn als juristischen Laien nicht erkennbar ist, dass er seine Eigentümerstellung noch nicht durch den bloßen Abschluss des Kaufvertrages erwirbt. Dass die Geltendmachung von kaufrechtlichen Ansprüchen nicht versichert sein soll, Ansprüche im Zusammenhang mit mangelhaften Reparaturen dann aber schon, führt ebenfalls dazu, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer gerade nicht auf die Frage der Zulassung abstellen wird. Insbesondere unter Berücksichtigung des eingeschlossenen Rechtsschutzes von vertraglichen Angelegenheiten und entsprechenden Werbeversprechen wird die Klausel so verstanden werden, dass sämtliche Streitigkeiten im Rahmen des Fahrzeugkaufes selbst auch unter den versprochenen Versicherungsschutz fallen. Hinzu tritt, dass dieses Ergebnis auch der langjährigen Regulierungspraxis des ADAC selbst und damit offenbar dessen Klauselverständnis entspricht. Dass (gerade) der ADAC über Jahre hinweg vor allem im Dieselskandal über das eigene Leistungsversprechen dem Grunde nach hinweg aus Kulanz mehrere zehntausend Rechtsschutzfälle reguliert haben soll (ohne das kulante Verhalten als Solches zu kennzeichnen), ist abwegig.  

Fraglich erscheint daneben, ob die Ansicht des OLG zum Treuwidrigkeitseinwand tatsächlich durchgreifen kann. Richtig ist zwar, dass der Versicherer einen Vertrauenstatbestand durch eine Deckungszusage („Anerkenntnis“) bisher nicht geschaffen hatte. Mit der Frage, inwiefern ein solcher Vertrauenstatbestand aber durch einen in der ursprünglichen Ablehnung, der Ablehnung des Stichentscheids und dem erstinstanzlichen Vortrag nicht erhobenen Einwand zu sehen ist, befasste sich das OLG aus unserer Sicht nicht hinreichend (hierzu auch https://www.keen-law.com/de/blog/artikel/reichweite-der-praeklusion-primaere-leistungsbegrenzung.html). 

In diesem Zusammenhang ebenfalls in keiner Weise berücksichtigt wurde, dass den Versicherer auch bei Deckungsablehnungen Fürsorgepflichten treffen und dieser dem Redlichkeitsgebot aus § 1a VVG unterliegt. Dementsprechend erscheint es unbillig, dem Versicherer die Möglichkeit zu eröffnen, einen solchen Einwand noch derart spät zu erheben. Zumal das Risiko der fehlerhaften Bewertung der Eintrittspflicht dann vollständig auf den Versicherungsnehmer abgewälzt wird, obwohl die Deckungsprüfung originäre Aufgabe des Versicherers ist  

(vgl. hierzu auch schon Landgericht Hildesheim, Urteil vom 4. August 2020, Az.: 3 O 317/19). 

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Keen Law

Zur Solidaritätszusage des Rechtschutzversicherers

In zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen gilt der Grundsatz, dass die sich im Streit befindenden Parteien grundsätzlich (unter Beachtung der prozessualen Wahrheitspflicht) „alles“ vorbringen und einwenden dürfen, was der Durchsetzung oder Wahrung der eigenen Rechte dient.  

Ein einschränkendes Verständnis gilt nach (zutreffender) Ansicht des Bundesgerichtshofes allerdings für den Rechtsschutzversicherer im Deckungsstreit. Denn die dem Versicherer zukommende Regulierungshoheit gegenüber dem eigenen Versicherungsnehmer strahlt unmittelbar auf die (prozessual) angezeigten Verhaltensweisen aus. Dies folgt bereits aus § 1a Abs. 1 S. 1 VVG, nach der der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber „stets ehrlich, redlich und professionell in deren bestmöglichem Interesse handeln“ muss.  

(Auch) hiervon ausgehend hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Figur der Solidaritätszusage entwickelt. So heißt es etwa in dem Urteil vom 31. März 2021 (Az.: IV ZR 221/19): 

„In der Rechtsschutzversicherung verpflichtet sich der Versicherer, die für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder Versicherten erforderlichen Leistungen im vereinbarten Umfang zu erbringen (§ 125 VVG). Auch wenn das Versicherungsvertragsgesetz den Vertragsparteien hinsichtlich des Umfangs des Leistungsversprechens keine Vorgaben macht, besteht das Wesen des Vertrags im Versprechen einer Unterstützung der Interessenwahrnehmung des Versicherungsnehmers, der daran zu Recht eine Solidaritätserwartung knüpft.“ 

Aus dieser Solidaritätszusage (und dem hierin steckenden Leistungsversprechen) entnimmt der Versicherungsnehmer, dass der Versicherer ihn bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen unterstützt und ihm zur Seite steht. 

Eine entscheidende Rolle kam diesem Vertrauensverhältnis in der Vergangenheit insbesondere bei der Frage der Bestimmung des Rechtsschutzfalles zu. Ausgangspunkt war eine in den Musterbedingung zur ARB 2021 vorgegeben und verwendete Klausel, nach der sich selbiger (der Rechtsschutzfall) auf Grundlage des Vortrages des Versicherungsnehmers und des potenziellen Gegners bestimmen lassen sollte. Hierin erblickte der Bundesgerichtshof in der vorzitierten Entscheidung einen Verstoß gegen eben dieses Solidaritätsversprechen. Denn bei Anwendung dieser Klausel wäre es dem Gegner der Hauptsache überlassen, dem Vortrag des Versicherungsnehmers dergestalt entgegenzutreten, dass er schematisch und ggf. im Wissen der versicherungsrechtlichen Gegebenheiten den Sachverhalt so darstellen könnte, dass Versicherungsschutz schon bezüglich der primären Voraussetzungen (sachlich, persönlich und zeitlich) nicht gegeben wäre. Der BGH (a. a. O.) führt hierzu aus: 

„In dieser Situation hätte es, wie der Senat mehrfach hervorgehoben hat, der Anspruchsgegner des Versicherungsnehmers, wäre auch auf sein Vorbringen abzustellen, in der Hand, dem Versicherungsnehmer den Rechtsschutz mittels bloßer Tatsachenbehauptungen von vorn herein zu entziehen (Senat NJW 2015, 1306 Rn. 16; BGHZ 222, 354 = NJW 2019, 2852 Rn. 28, jew. mwN), ohne dass es danach noch auf die Erfolgsaussichten der Interessenwahrnehmung oder Weiteres ankäme. Dem Anspruchsgegner des Versicherungsnehmers bereits bei der Prüfung, ob und wann ein Versicherungsfall eingetreten ist, derart weitgehenden Einfluss auf die Leistungspflicht des Versicherers zuzugestehen, lässt sich mit dem Vertragszweck einer Unterstützung der Interessenwahrnehmung des Versicherungsnehmers nicht vereinbaren.“ 

Ein solches Ergebnis führt nach überzeugender Ansicht des Bundesgerichtshofes zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers. Denn dieser müsste die bereits bekannten Einwände der Gegenseite (die er im Rahmen seiner Obliegenheit, den Tatsachenverhalt vollständig darzulegen, offenzulegen hat) im Verfahren gegen den eigenen Versicherer vollumfänglich entkräften und seine Gegenbehauptung unter Beweis stellen. Da bei der Frage des Vorliegens von Versicherungsschutz auf primärer Ebene eine nur summarische Prüfung unter dem herabgesetzten Maßstab des § 114 ZPO gerade nicht stattfindet, wäre der Versicherungsnehmer der akuten Gefahr ausgesetzt, den Hauptsacherechtsstreit zunächst gegenüber seinem Rechtsschutzversicherer inzident zu führen, um die begehrte Versicherungsleistung zu erhalten. Das ist ihm nicht abzuverlangen.  

Die Entscheidung(en) des Bundesgerichtshofes ist/sind zu begrüßen. Sie tragen den versicherungsrechtlichen Besonderheiten der Parteien (VR und VN) sowie dem Umstand Rechnung, dass diese an sich eine gemeinsame Zielrichtung (namentlich die Durchsetzung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers) verbindet.  

Daneben erstreckt sich die Solidaritätszusage des Versicherers nicht nur auf die Frage des Vorliegens des Versicherungsfalles. Dem Versicherer ist es viel mehr auch verwehrt, sich im Deckungsprozess (wie teilweise zu beobachten) als Rechtsabteilung der Gegenseite aufzuspielen und hierbei im bemerkenswerten Umfang Einwände gegen den Anspruch (bzw. dessen Erfolgsaussichten) vorzunehmen, auf die sich der/die Bezugsbeklagte selbst nicht zu stützen vermag. So lässt sich in entsprechenden Verfahren regelmäßig feststellen, dass der Tatsachenverhalt der Hauptsache vollumfänglich bestritten wird. Dabei ist es nicht nur nicht Aufgabe des Gerichts der Deckungsklage, eine Beweiswürdigung der Hauptsache vorwegzunehmen. Ein solches Verhalten widerspricht daneben auch den einschlägigen Rechtsschutzbedingungen. Denn nach diesen ist der Versicherungsnehmer (wie oben dargestellt) lediglich gehalten, den Sachverhalt und entsprechende Beweismittel vorzutragen. Selbstverständlich steht dem Versicherer dann ein Prüfungsrecht im Rahmen der Erfolgsaussichten zu, ob das angegebene Beweismittel überhaupt geeignet ist, die Tatsachenbehauptung zur Überzeugung des Hauptsachegerichts feststellen zu lassen. Da eine Verneinung dieser Frage im Rahmen der Erfolgsaussichtenprüfung aber allenfalls bei evident ungeeigneten Beweismitteln anzunehmen sein könnte, kommt einem solchen Einwand in der Praxis regelmäßig keine Relevanz zu.  

Auch hier gilt: der Versicherer hat mit Blick auf seine Solidarpflicht den Vortrag des Versicherungsnehmers (selbstverständlich nur in Ermangelung evidenter Widersprüche) für zutreffend anzunehmen und auch in Beweisfragen Zweifel zu Gunsten seines Vertragspartners auszulegen.  

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EuGH

EuGH: Keine Erheblichkeitsschwelle für ersatzfähige Schäden

EuGH-Urteil (Az.: C-300/21) vom 4. Mai 2023: Keine Erheblichkeitsschwelle für ersatzfähige Schäden

Wer als Betroffener eines Datenlecks mit Hilfe seiner Rechtsschutzversicherung gegen den Verantwortlichen vorgehen und seine Ansprüche (unter anderem Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO) geltend machen möchte, wurde zuletzt häufig mit einer inhaltsgleichen Ablehnung seines Versicherers konfrontiert.  

Dabei stützen sich die Versicherer in Ihren Ablehnungen vermehrt auf die Begründung, ein bloßer Verstoß gegen die DSGVO würde den Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO nicht begründen. Vielmehr bedürfe es eines nicht nur unerheblichen ersatzfähigen Schadens. Häufig von Versicherungsnehmern genannte Beeinträchtigungen wie Spam E-Mails oder Anrufe sowie mentale Beeinträchtigungen wie ein gesteigertes Unwohlsein oder die Sorge vor Missbrauch der veröffentlichten Daten für kriminelle Zwecke, würden als Bagatellschäden zum allgemeinen Lebensrisiko gehören und den Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO nicht begründen.  

Mit einem richtungsweisenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 4. Mai 2023 diese zwischen Versicherungsnehmern und Versicherern bestehenden Streitfragen endgültig geklärt und die Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche nach Art. 82 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) konkretisiert. Danach bedarf es für einen Anspruch die folgenden drei Voraussetzungen:  

  1. Ein Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO, 
  1. Der Eintritt eines materiellen oder immateriellen Schadens und 
  1. Eine Kausalität zwischen dem Verstoß und dem Schaden. 

Übereinstimmend mit der Rechtsauffassung vieler Versicherer stellt der EuGH in seiner Entscheidung klar, „dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen.“ (vgl. EuGH Az.: C-300/21, Rn. 42). Damit wird endgültig entschieden, dass ein tatsächlicher Schaden aufgrund des Verstoßes gegen die DSGVO eingetreten sein muss.  

 

Interessanterweise hat der EuGH jedoch bei den Ausführungen zur zweiten Vorlagefrage festgestellt, dass für diesen Schaden keine Erheblichkeitsschwelle gilt - jeder festgestellte Schaden ist demnach ersatzfähig. Das folgt daraus, dass Art. 82 DSGVO nur die explizite Feststellung enthält, sowohl materielle als auch immaterielle Schäden zu umfassen. Eine potenzielle Signifikanzschwelle ist nicht erwähnt und ist auch nicht mit Blick auf den Zusammenhang, in den sich die Bestimmung einfügt, erkennbar. Vielmehr würde der Ersatz eines, von einer Erheblichkeitsschwelle abhängigen, immateriellen Schadens die Regelung beeinträchtigen. Vielmehr sollen nationale Gerichte den Anspruch durch die Festsetzung unterschiedlicher Schadensersatzbeträge für Einzelfall auslegen.   

Diese Klarstellung hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf Hauptsacheverfahren, sondern auch auf die Deckungsverfahren der Rechtsschutzversicherer. Die häufig angeführte Ansicht, dass allein der Verstoß den Schadensersatzanspruch nicht begründet, wurde durch die Entscheidung bekräftigt. Es ist jedoch zu beachten, dass in den seltensten Fällen die Versicherungsnehmer tatsächlich nur auf Grund des Verstoßes Schadensersatz forderten. Vielmehr liegt der Fokus in der Ablehnung der Versicherer auf dem zweiten Teil der Entscheidung des EuGH, nämlich der Argumentation zur Erheblichkeitsschwelle.  

In konsequenter Anwendung der rechtlichen Beurteilung des EuGH können sich die Versicherer nicht länger darauf berufen, dass die vorgetragenen Beeinträchtigungen der Versicherungsnehmer als Bagatellschäden dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen und somit nicht kompensationsberechtigt sind – denn jeder entstandene Schaden ist grundsätzlich ersatzfähig.  

Es ist daher im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zu erwarten, dass die Versicherer für künftige Anfragen ihrer Versicherungsnehmer bereitwilliger Deckungsschutz für Schadensersatzansprüche nach Art. 82 DSGVO gewähren werden – vorausgesetzt die Versicherungsnehmer können tatsächliche Beeinträchtigungen vorbringen.  

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der EuGH mit seiner Entscheidung die (wohl herrschende) Auffassung zum Eintritt eines Schadens nunmehr endgültig bestätigt hat. Jedoch mit der für den Deckungsschutz nicht unerheblichen Maßgabe, dass jeglicher tatsächlich eingetretene Schaden auch einen ersatzfähigen Schaden darstellt. Nach dieser Entscheidung scheint sich die Waage für eine positive Deckungszusage in Richtung der Versicherungsnehmer geneigt zu haben. Sie unterstreicht jedoch auch die Notwendigkeit einer sorgfältigen Einzelfallprüfung bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Falle eines DSGVO-Verstoßes – denn auch nach Ansicht des EuGH gibt es ohne Schaden keinen Schadensersatz.   

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LG Heilbronn

Urteilsbesprechung LG Heilbronn III 4 O 223/22

Urteilsbesprechung LG Heilbronn III 4 O 223/22 

 

Zum Sachverhalt  

Der Versicherungsnehmer verfolgte Ansprüche gegen die Mercedes Benz Group AG aufgrund des Dieselabgasskandals und stellte – nach klageabweisenden Urteil in erster Instanz - unter dem 15. September 2021 Deckungsanfrage für das Berufungsverfahren. Der Versicherer lehnte die Gewährung von Rechtsschutz unter Berufung auf fehlende Erfolgsaussichten ab, den er für die erste Instanz noch erteilt hatte.  

 

Auch im Deckungsprozess verweigerte der Versicherer trotz angefertigten Stichentscheids die Deckung und wies diesen als offensichtlich von der Sach- und Rechtslage abweichend zurück. Der Versicherer begründete dies damit, dass die rechtlichen Fragen zum Abgasskandal in Bezug auf die hiesigen Fragen bereits höchstrichterlich geklärt sein und es überdies an der Darlegung greifbarer Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Versicherungsnehmers fehle.  

 

Entscheidungsgründe  

Die Argumente des Versicherers überzeugten das Landgericht nicht. Der Versicherer war nicht berechtigt, die Gewährung von Rechtsschutz wegen fehlender Erfolgsaussichten des abzulehnen. Denn nach den entsprechend anzusetzenden Kriterien für Gewährung von Prozesskostenhilfe gem. § 114 ZPO war das Begehren des Klägers hinreichend aussichtsreich. 

 

Nach Ansicht des Gerichts sind an die Voraussetzungen der hinreichenden Erfolgsaussichten keine überhöhten Anforderungen zu stellen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Rechtsstandpunkt des Versicherungsnehmers aufgrund seiner Darstellung und den vorhandenen Unterlagen zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht.  

 

Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten ist nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen.  

 

Nach Ansicht des Gerichts bestanden im Zeitpunkt der Bewilligungsreife, also im Oktober 2021 hinreichende Aussicht auf Erfolg im Hinblick auf einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. Den europarechtlichen Vorgaben sowie einen Anspruch aus § 826 BGB. 

 

Hinsichtlich des Ansruchs aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. Den europarechtlichen Vorgaben stellt das Landgericht heraus, dass es zwar zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine BGH- Rechtsprechung gab, die eben jenen Anspruch ablehnte, jedoch nicht außer Acht gelassen werden durfte, dass das Landgericht Ravensburg gegenteiliger Auffassung war und die Sache dem EuGH vorgelegt hat. Ebenso handelte es sich nach Ansicht des Gerichts bei der Entscheidung des Landgericht Ravensburg nicht um eine Ausreißerentscheidung, denn die Rechtsauffassung sei vor dem Hintergrund, dass eine Vielzahl von Oberlandegerichten ihre Verfahren ausgesetzt haben, vertretbar war. Daher war es nach Ansicht des Gerichts im Rahmen der Prognoseentscheidung nicht ausgeschlossen, dass der BGH nach einer Entscheidung der EuGH seine Rechtsauffassung überdenke. Daher lagen nach dem relevanten Maßstab des § 114 ZPO zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichende Erfolgsaussichten vor. 

 

Ausführlich heißt es: 

„Allerdings lag zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife auch der Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 12.02.2021 zur Vorlage an den EuGH vor. In dem Beschluss setzt sich das Landgericht Ravensburg mit der Rechtsprechung des BGH auseinander und vertrat hinsichtlich des Individualrechtsschutzes der europarechtlichen Regelungen eine vom BGH mit Blick auf die europarechtlichen Aspekte abweichende Auffassung und zitiert auch andere Gerichte, die diese Auffassung teilten. Dass die Auffassung des Landgerichts Ravensburg hinsichtlich der europarechtlichen Dimension nicht von vornherein abwegig – sondern im Gegenteil durchaus gut vertretbar - war, lässt sich aus der ex-post Perspektive anhand der Schlussanträge des Generalanwalts vom Juni 2022 sowie dem Urteil des EuGHs vom 21.03.2023 (C- 100/21) erkennen. Dass vorliegend kein Fall gegeben war, bei dem die vertretene Meinung des Landgerichts Ravensburg als eine Ausreißerentscheidung anzusehen ist, zeigt bereits die Tatsache, dass mit Blick auf das Vorabentscheidungsverfahren eine Reihe von Oberlandesgerichten ihre Verfahren ausgesetzt haben. 

[…] 

Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife stand mithin fest, dass die europarechtlichen Fragestellungen nunmehr einer Klärung zugeführt werden. Im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung war es zum relevanten Zeitpunkt nicht ausgeschlossen, dass der BGH nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs seine Rechtsposition überdenkt.“ 

 

Hinsichtlich des Anspruchs aus § 826 BGB stellt das Gericht klar, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs , nach der aus dem Vorhandensein eines Thermofensters kein Rückschluss auf ein sittenwidriges Verhalten gezogen werden kann, im vorliegenden Fall nicht gänzlich übertragbar ist. Denn der Versicherungsnehmer hat seinen Prozessvortrag auf weitere unzulässige Abschalteinrichtungen in Form der sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sowie des sog. „Hot-Restart“ gestützt. Das Gericht erkennt darin einen unmittelbar auf die Darlegung einer arglistigen Täuschung der Typengenehmigungsbehörde ausgelegten Sachvortrag. Nach Ansicht des Gerichts liegt daher ein weitergehender Vortrag des Versicherungsnehmers vor. Im Übrigen lagen zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife bereits zusprechende Entscheidungen vor.  

 

Im Einzelnen führte das Landgericht aus: 

„Selbst wann man dies anders sehen sollte, wären hinreichende Erfolgsaussichten auch mit Blick auf einen Anspruch aus § 826 BGB gegeben. Zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife, lagen die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vor, wonach aus dem Vorhandensein eines Thermofensters allein kein Rückschluss auf ein sittenwidriges Verhalten gezogen werden kann (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20). 

[…] 

Allerdings ist vorliegend zu beachten, dass der Kläger seinen Anspruch auch auf eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Form des sog. „Hot Restart“ bzw. der Kühlmittel-Solltemperatur- Regelung stützt. 

[…] 

Der Vortrag des Klägers zielt damit unmittelbar auf eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und damit einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber (OLG Stuttgart, Urteil vom 02.02.2023 – 7 U 186/22, Rdnr. 21 - juris). Das Vorbringen ist insoweit weitergehend als der vom BGH entschiedene Fall. 

[…] 

Mit Blick auf die streitgegenständliche Motorenreihe und den Einwendungen der Klägerseite lagen damit zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife bereits zusprechende Entscheidungen vor […], sodass diesbezüglich hinreichende Erfolgsaussichten gegeben sein dürften.“ 

 

Anmerkungen  

Die Entscheidung des Landgerichts überzeugt vollumfänglich. Bemerkenswert klar stellt das Landgericht heraus, wann von einer zu klärenden Rechtsfrage auszugehen ist und inwieweit diese im Rahmen der zu treffenden Prognoseentscheidung zu berücksichtigen ist.  

 

Damit ist einmal mehr entschieden, dass keine überhöhten Anforderungen an den Vortrag des Versicherungsnehmers sowie die Voraussetzungen der hinreichenden Erfolgsaussichten zu stellen sind.  

 

Herausragend ist jedoch die Ansicht des Gerichts, dass Erfolgsaussichten dann nicht abzusprechen sind, wenn zwar eine entgegenstehende BGH-Rechtsprechung besteht, aber auch ein Verfahren vor dem EuGH anhängig ist und es nicht unwahrscheinlich ist, dass der BGH seine Rechtsprechung nach Urteilsverkündung ändern könnte. 

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Vom Mythos der Informationsobliegenheit

Einleitung 

Das Berufen auf Obliegenheitsverletzungen ist im Deckungsverfahren ein von Versicherern häufig gewähltes Mittel, um die eigene Einstandspflicht abzuwehren. Häufig wird vorgetragen, der Versicherungsnehmer habe den Sachverhalt nicht vollständig dargelegt und deshalb gegen seine Anzeige- und Unterrichtungsobliegenheit (sog. Informationsobliegenheit) verstoßen.  

Dabei erscheint ein solches Verhalten auf den ersten Blick als moralisch nachvollziehbar: Hält der Versicherungsnehmer wesentliche Informationen zurück, so darf er sich nicht wundern, wenn der Versicherer auch seinen Teil der Vertragsabrede nicht (vollständig) einhalten will. Doch gelangt man auch bei einem genaueren Blick und nach rechtlich sorgfältiger Analyse zu diesem einfachen Ergebnis? Dem möchte dieser Beitrag in gebotener Kürze auf den Grund gehen und dabei auf die wesentlichen Überlegungen aufmerksam machen, die im Zusammenhang mit Informationsobliegenheiten angestellt werden sollten. 

 

Normativer Anknüpfungspunkt für Tatbestand und Rechtsfolge 

Zunächst zum Ursprung “allen Übels”, den Vertragsbedingungen: Die Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Information des Versicherers ergibt sich aus den Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen und ist dort meistens unter § 17 ARB geregelt. Er ist Ausgestaltung der für alle Versicherungsverträge geltenden Vorschrift des § 28 VVG, die die Rechtsfolgen eines Obliegenheitsverstoßes normiert. Der Tatbestand ist damit im Bedingungswerk des jeweiligen Vertrags selbst normiert, während für die Frage, was aus einem objektiven Verstoß folgt, auf § 28 VVG zurückzugreifen ist.  

Als Obliegenheiten kennt das Rechtsschutzversicherungsrecht unter anderen die Anzeige- und Unterrichtungsobliegenheit. Danach hat der VN sowohl den Versicherer als auch den beauftragten Rechtsanwalt vollständig und wahrheitsgemäß über sämtliche Umstände des Rechtsschutzfalles zu unterrichten, sobald er den Rechtsschutzanspruch geltend macht. Hierzu gehört standesgemäß, dass der Versicherungsnehmer die Beweismittel angeben und die notwendigen Unterlagen auf Verlangen zur Verfügung stellen oder ebenjene beschaffen muss. Einen Verstoß kann es etwa darstellen, wenn der VN dem VR Einwände der Gegenseite vorenthält.  

 

Die Voraussetzungen der Leistungsfreiheit 

Dabei sind für den Versicherer hohe Hürden zu nehmen, ehe er sich nach einem objektiv festgestellten Verstoß auf Leistungsfreiheit berufen kann. So muss er nach § 28 Abs.  2 VVG zunächst darlegen, dass der VN die Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. 

Verletzt der Versicherungsnehmer eine der Obliegenheiten des § 17  ARB schuldlos oder nur mit einfacher Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB), bleibt die Obliegenheitsverletzung für ihn folgenlos. Zudem wird der Versicherer auch gerade nur dann vollständig leistungsfrei, wenn er dem Versicherungsnehmer vorsätzliches Verhalten nachweisen kann. Grob fahrlässiges Verhalten führt hingegen allenfalls zu einer Quotelung des Anspruchs auf Versicherungsleistung. Denn der Gesetzgeber hat von dem ursprünglich geltenden „Alles-Oder-Nichts-Prinzip“ längst Abstand genommen. 

 

Der Begriff des Vorsatzes unterscheidet sich dabei nicht von dem allgemeinen Begriff des Zivilrechtrechts und setzt neben dem Bewusstsein vom Vorhandensein der Obliegenheit auch das (bedingte) Wollen der Obliegenheitsverletzung voraus. Der Versicherer ist hierfür beweispflichtig, sofern er sich auf Leistungsfreiheit beruft! 

 

Dazu kommt, dass Versicherer in der Praxis oft nicht berücksichtigen, dass anwaltliches Verhalten bzw. anwaltliche Kenntnis dem VN nach allgemeinen versicherungsrechtlichen Grundsätzen nur dann zu zurechnen sind, wenn der Rechtsanwalt als Repräsentant des VNs in Erscheinung tritt. Das wird aber nur in den seltensten Fällen anzunehmen sein. 

 

Last but not least: Kausalitätsgegenbeweis 

Selbst wenn der VR sowohl den objektiven Verstoß als auch das subjektive Element darlegen kann, bleibt für den VN der sog. Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 VVG. Danach bleibt der VR selbst bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung zur Leistung verpflichtet, wenn die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich geworden ist.  

Ein Kausalzusammenhang zwischen Obliegenheitsverletzung und Feststellung des Versicherungsfalls liegt aber erst dann vor, wenn der Rechtsschutzversicherer bei richtigem Verhalten des Versicherungsnehmers Maßnahmen hätte treffen können, die zu einer Senkung der von ihm zu ersetzenden Leistungen hätte führen können. 

Das Führen des Kausalitätsgegenbeweises scheidet auch nur dann aus, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig (also meist in betrügerischer Absicht) verletzt hat. Für die Rechtsschutzversicherung sind jedoch keinerlei Entscheidungen bekannt, in welchen über den Vorsatz hinaus Arglist bejaht wurde. 

 

Fazit 

Es sollte klar geworden sein, dass der Einwand der Leistungsfreiheit nach Obliegenheitsverletzung kein Selbstläufer ist. Dem Versicherer werden hier enge Zügel angelegt, weshalb es sich in jedem Fall lohnt, die Ablehnung des Versicherers genau unter die Lupe zu nehmen. Oft dürfte es dem VR schon schwer fallen das „Wollenselement“ des Vorsatzes darzulegen. Große Chancen bieten sich dem VN schließlich durch den Kausalitätsgegenbeweis. Denn nicht selten stellt sich heraus, dass der Obliegenheitsverstoß gar keinen Einfluss auf das Regulierungsverhalten des VRs genommen hat.  

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OLG Hamm

OLG Hamm (20 U 144/22): zur Berücksichtigungsfähigkeit späterer, für den VN streitender Rechtsprechung

OLG Hamm (I-20 U 144/22): Rechtsschutzversicherer muss Deckung erteilen, wenn sich die Rechtsprechung nach der Deckungsablehnung zu Gunsten des Versicherungsnehmers entwickelt!  

 

Lange war in Rechtsprechung und Literatur (ohne weitere Begründung) unumstritten, dass die Erfolgsaussichten einer Deckungsklage nachträglich mit Blick auf den sog. “Zeitpunkt der Bewilligungsreife” (Datum der Deckungsablehnung) zu beurteilen sind. 

Dass eine solche Einschränkung zu Lasten des Versicherers  vorzunehmen ist, ist durchaus verständlich. Denn aus den Rechtsschutzbedingungen folgt, dass der Versicherer sämtliche Einwände gegen die Erfolgsaussichten “unverzüglich” vorbringen muss. 

Eine vergleichbare Regelung, die auch eine ex-Post-Betrachtung zu Gunsten des Versicherers verbietet, existiert allerdings nicht. Dennoch verweigerten sich einige Oberlandesgerichte in der Vergangenheit (etwa OLG Schleswig, 16 U 53/22, OLG Bremen, 3 U 13/22) einen für den Versicherungsnehmer positiven Trend, der sich vermeintlich erst nach der Deckungsablehnung abzeichnete, in einschlägigen Deckungsverfahren zu berücksichtigen. 

 

Die Folge waren evident schiefe und widersprüchliche Ergebnisse: Die Gerichte mussten dem klagenden Versicherungsnehmer mitteilen, dass sein Hauptsachebegehren zwar derzeit erfolgsaussichtsreich wäre, er seine Deckungsanfrage aber – untechnisch gesprochen – schlicht zu früh gestellt hatte. Auch negiert diese Auffassung, dass ein späterer Erfolg (ohne Änderung der Gesetzeslage) ohne damalige Erfolgsaussichten schon denklogisch nicht möglich wäre und eine solch eingeschränkte Betrachtung auch in den Versicherungsbedingungen keine Stütze findet.  

 

Diesen Fehlstand arbeitete nun das OLG Hamm (Az.: I-20 U 144/22) erstmals dogmatisch nachvollziehbar auf und kommt zu einem den übrigen Obergerichten widersprechenden Ergebnis: 

„Denn nach Auffassung des Senats ist in einem Fall wie dem vorliegenden nicht auf diese frühere tatsächliche (Erkenntnis-) Situation abzustellen, sondern auf die Rechtslage, wie sie sich jetzt (Schluss der mündlichen Verhandlung) darstellt.“ 

 

Entgegen der Auffassung der Versicherer (und einiger OLGe) sei bei der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten also nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen, sofern dies zu Lasten des Versicherungsnehmers gehe. Dieser Ansatz fände nach Auffassung des Senats weder eine Stütze in den ARB noch dem VVG. Auch greift das OLG Hamm die allein auf einer Formalität beruhender Widersprüchlichkeit zwischen den tatsächlichen und den “damaligen” Erfolgsaussichten auf. Der Senat betont: 

„Wenn sich – bei unverändertem Sachverhalt und unveränderter Vorschriftenlage – in der Rechtsprechung neue Entwicklungen zugunsten des Versicherungsnehmers ergeben, muss diese Entwicklung nach Auffassung des Senats bei der Prüfung der Erfolgsaussichten berücksichtigt werden. 

Dem Versicherungsvertrag und den Versicherungsbedingungen in der Rechtsschutzversicherung lässt sich nicht entnehmen, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in einem solchen Fall nicht zugunsten des Versicherungsnehmers die neueste Rechtsprechung berücksichtigen darf. Eine derartige #Einschränkung des Leistungsversprechens des Rechtsschutzversicherers wäre auch #unbillig. Dem Versicherungsnehmer würde Versicherungsschutz versagt, obwohl in der Sache hinreichende Erfolgsaussichten bestünden (und nach der objektiven Rechtslage bereits zum Zeitpunkt der Deckungsablehnung bestanden haben). Dies ist nicht gerechtfertigt, da sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat, sondern lediglich die "Bewertung" der Rechtslage (die Erkenntnis darüber) bei identischer Gesetzeslage.“  

 

Gleichwohl bestätigt das OLG, dass die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit von nachträglich zu Lasten des Versicherungsnehmers ergehender Rechtsprechung sich erheblich von der dargestellten Fallgestaltung unterscheidet, eine solche Entwicklung mithin keine Berücksichtigung finden darf. Dies liege vor allem auch an der Regelung der „#Unverzüglichkeit“ im Bedingungswerk, welches dahingehend nur den Versicherer bindet. Diese Ungleichbehandlung sei auch zu billigen: 

„Die Frage, wie im „umgekehrten“ Fall zu entscheiden ist, wenn also zum Zeitpunkt der Deckungsablehnung nach der Rechtsprechung Erfolgsaussicht bestand, die Rechtsprechung sich dann aber entscheidend zulasten des Versicherungsnehmers ändert, ist eine andere. In einem solchen Fall kann der Versicherungsnehmer geltend machen, dass der Versicherer damals Deckung nicht hätte ablehnen dürfen, die Gerichte dies nicht gebilligt hätten und dass er, der Versicherungsnehmer, durch die in diesem Sinne damals falsche Entscheidung des Versicherers nun nicht schlechter gestellt werden dürfe. Das bedarf hier indes keiner Vertiefung. Es genügt festzuhalten, dass die beiden Fallgestaltungen sich durchaus in erheblicher Weise unterscheiden.” 

 

Im konkreten entschied das OLG über die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Vorgehens gegen die BMW AG. Die im August 2020 ausgesprochene Deckungsablehnung sei zwar inhaltlich nicht zu beanstanden, da sie der damaligen Rechtslage des Bundesgerichtshofes insb. Zu § 823 Abs. 2 BGB entsprach. Dass sich die u. a. an der Rechtsprechung zu orientierenden Erfolgsaussichten allerdings zwischenzeitlich (#C-100/21) zu Gunsten des dortigen Klägers verbessert hatte, war der Beklagte Versicherer antragsgemäß zu verurteilen.  

 

Dieser Ansatz überzeugt auch aus einem weiteren Grund: denn anders als von vielen Gerichten im Ergebnis dargestellt, begehren die Versicherungsnehmer im Rahmen von Deckungsklagen regelmäßig gerade nicht die Feststellung, dass die damalige Ablehnung verschuldet pflichtwidrig ausgesprochen wurde.  

 

Im Ergebnis ist es für einen erfolgreichen Deckungsprozess im Abgasskandal ausreichend, wenn der Versicherungsnehmer hinsichtlich der verbauten (unzulässigen) Abschalteinrichtungen hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Dann nämlich kann nach der überzeugenden Auffassung des OLG Hamm nicht ausgeschlossen werden, dass der Versicherungsnehmer einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB hat, #ohne dass er eine #sittenwidrige #Schädigung nachweisen müsste.  

 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das OLG Hamm hat die Revision mit Blick auf die divergierende obergerichtliche Rechtsprechung zugelassen.  

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Keen Law

Verbands­klagen­richtlinien­umsetzungsgesetz - doch kein zahnloser Tiger?

Neben unseren „Dauerbrennern“ wie Regressangelegenheiten und Deckungsstreitigkeiten in Sachen Abgasskandal, Datenschutzverstößen, Medizinrecht sowie dem Sach- und Personenversicherungsrecht, bearbeiten wir auch immer wieder Mandaten anderer Rechtsgebieten mit spannenden Einzelfragen, denen wir in unserem Blog eine kleine Bühne geben möchten Daher widmen wir uns in dieser Ausgabe erstmals dem (rechtsschutzversicherten Mandat im) Arbeitsrecht und erläutern, was es mit der sog. „Mehrvergleichsklausel“ auf sich hat.

 

Der „Fall“

Insbesondere in Kündigungsstreitigkeiten ist es üblich, dass zusammen mit dem eigentlichen Streitthema weitere Inhalte zum Gegenstand eines Vergleiches gemacht werden. So werden neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oft auch Regelungen zum Wettbewerbsverbot, der Rückgabe von Arbeitsmitteln oder des Arbeitszeugnisses getroffen, obwohl hierüber (noch) kein Streit bestand.

 

Die Frage

Streit entsteht dann häufig um die Frage, ob der Rechtsschutzversicherer die Kosten eines Mehrvergleichs auch dann tragen muss, wenn außer der Kündigung (noch) kein Streit zwischen den Parteien bestand. Die Antwort – wie üblich: Es kommt darauf an!

 

Zur Rechtslage

Im sog. „Mehrvergleichsfall“ entschied der BGH (Urteil vom 14.09.2005, Az.: IV ZR 145/04 (NJW 2006, 513)), dass ein Rechtsschutzversicherer auch die Kosten streitwerterhöhender Materien zu tragen hat, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kündigungsstreit stehen. Zur Begründung stellte der BGH darauf ab, dass den dort vereinbarten Versicherungsbedingungen (ARB 94) nicht zu entnehmen gewesen sei, dass solche Kosten nicht übernommen werden. Und einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer würde sich damit auch nicht erschließen, dass auch hinsichtlich der „nicht streitigen“ Vergleichsinhalte ein Verstoß des Arbeitsgebers vorliegen müsse, damit die (Mehr)Kosten übernommen werden.

Als Reaktion hierauf haben Rechtsschutzversicherer in den neueren Bedingungswerken eine klarstellende Klausel aufgenommen. Diese lautet regelmäßig:

Der Versicherer trägt nicht Kosten im Rahmen einer einverständlichen Regelung für Forderungen, die selbst nicht streitig waren oder Kosten, die auf den nicht versicherten Teil von Schadensfällen entfallen.

Da die Entscheidung des BGH zu den ARB 94 ergangen ist, in denen eine solche Klausel nicht enthalten war, scheint die Thematik damit zunächst geklärt. Allerdings halten das AG Dresden (Urteil vom 13.01.2017, Az.: 105 C 3867/16) und das AG Kassel (Urteil vom 08.01.2015, Az.: 414 C 5614/13) diese Klauselfassung für unwirksam, da sie intransparent sei. So sei unklar, was unter der Wendung „nicht streitig“ zu verstehen ist. Hiermit könnte bereits eine irgendwie geartete Uneinigkeit zwischen den Parteien gemeint sein oder auch „streitgegenständlich“. Letzteres ist die kundenfeindlichste Auslegung und daher im Rahmen der Inhaltskontrolle heranzuziehen. Im Ergebnis scheint die Klausel daher mit guten Argumenten als überraschend und im Widerspruch zum vereinbarten Vertragszweck stehend.

(Ober- oder höchstrichterliche Entscheidungen zur Wirksamkeit solcher Ausschlussklauseln liegen bislang nicht vor).

 

Praxisempfehlung

In der Praxis empfiehlt es sich, mögliche Mehrvergleiche penibel mit dem Rechtsschutzversicherer abzustimmen (auch außerhalb des Arbeitsrechts) und die Kostenübernahme vorab zu klären. So ist gewährleistet, dass im Nachhinein für Anwalt und Mandanten keine negativen Überraschungen folgen.

Sollte der Versicherer die Kostenübernahme (teilweise) verweigern, bietet es sich an, die vereinbarten Versicherungsbedingungen zu überprüfen. Fehlt eine eindeutige Klausel, dürfte in der Regel auch eine Eintrittspflicht bestehen. Ist eine solche Klausel dagegen vorhanden, muss die Rechtslage – und damit die Übernahmeverpflichtung – als ungeklärt angesehen werden.

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EuGH

EuGH-Urteil stärkt Verbrauchern den Rücken

Seit Jahren beschäftigt der Abgasskandal nicht nur Gerichte und Rechtsanwälte, sondern auch Versicherer. Zwischen 2017 und 2019 wurden bundesweit mehr als 206.000 rechtsschutzgedeckte Individualklagen gegen VW eingereicht. Nachdem diese erste Klagewelle weitestgehend abgeflacht ist, beschäftigte sich die zweite Klagewelle im Kern mit der Frage des sog. „Thermofensters“. Den auf diese temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems gestützten Ansprüchen steht der BGH jedenfalls unter Ansatz der in diesen Verfahren beigebrachten Tatsachen kritisch gegenüber (vgl. Nur Az.: VI ZR 433/19). Insbesondere vermochte er in den europarechtlichen Normen keinen Drittschutz zu erkennen. Nach den dazu in Widerspruch stehenden Schlussanträgen des Generalanwalts des EuGH vom 2. Juni 2022 und der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofes vom 30. Juni 2022 dürfen Fahrzeugkäufer wieder hoffen. Haben nun auch Versicherungsnehmer Grund zur Freude oder ist mit der negative Leistungsentscheidung des Versicherers bereits abschließend über den Deckungsschutz entschieden? 

 Das OLG Schleswig und der maßgebliche Zeitpunkt der Bewilligungsreife 

In einer jüngst vor dem OLG Schleswig am 21. Juni 2022, Az.: 16 U 53/22 gefällten Entscheidung stand diese Frage im Mittelpunkt. Der Kläger begehrte von der Beklagten Leistungen aus einer Rechtsschutzversicherung in Form von Kostendeckung für die Erhebung einer sogenannten «Diesel-Klage» gegen den Hersteller BMW. Der Versicherer erhob den Einwand mangelnder Erfolgsaussichten und lehnte die Deckung im November 2021 ab. Der Senat zog bei seiner Entscheidung ausschließlich Rechtsprechung von vor November 2021 heran, namentlich den erwähnten Beschluss des BGH vom 19. Januar 2021. Hingegen bezog er die rechtlichen Ausführungen des Generalsanwalts des EuGH in seinen Schlussanträgen zum Verfahren des EuGH C-100/21 vom 2. Juni 2022 nicht ein.

Für die Frage, ob dem Rechtsschutzbegehren des Versicherungsnehmers hinreichende Erfolgsaussichten zu attestieren sind, ist auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen - insoweit besteht in der Rechtsprechung Einheit. Das ist frühestens der Tag, an welchem dem Versicherer alle zur Leistungsentscheidung notwendigen Unterlagen vorliegen und spätestens der Tag, an dem der Versicherer den Deckungsschutz ablehnt. Ohne sich mit den die Auffassung des Generalanwaltes stützenden Entscheidungen und Meinungen in Rspr. und Literatur auseinanderzusetzen, gelangte der Senat zu dem Ergebnis, dass die rechtlichen Ausführungen des Generalanwalts des EuGH in seinen Schlussanträgen zum Verfahren des EuGH C-100/21 nicht zu berücksichtigen seien.

Gegenwind aus dem Süden 

Eine andere (und überzeugendere) Rechtsauffassung brachte hingegen das Amtsgericht München in einem Anerkenntnisurteil vom 22. Juli 2022, Az.: 132 C 8577/22 zum Ausdruck. Das Amtsgericht hatte sich dabei im Rahmen der Kostenentscheidung mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit der Versicherer möglicherweise durch seine Deckungsablehnung Anlass i.S.d. § 93 ZPO zur Klage geboten hatte. Auch die dort gegenständliche Deckungsablehnung ließ die Schlussanträge des Generalanwalts unberücksichtigt - zu Unrecht, wie das Gericht feststellte. Die Schlussanträgen des Generalanwalts stellten keinen neuen „Gesichtspunkt“ dar, sondern verdeutlichten lediglich, wie das ohnehin und von vorneherein geltende europäische Recht richtigerweise zu verstehen sei. Mit anderen Worten: die vom Versicherer vertretene Rechtsauffassung war von Anfang an unrechtmäßig. Die Schlussanträge waren bei der Überprüfung der Leistungsentscheidung zu berücksichtigen, auch wenn sie erst nach Eintritt der Bewilligungsreife gestellt wurden.   

Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des LG Stuttgart vom 18. September 2020, Az.: 3 O 236/20, in der es zur Aussetzung analog § 148 ZPO und zur Vorlage an den EuGH kam. Dieser Entscheidung lag die Erwägung zugrunde, dass das abschließende Wahrscheinlichkeitsurteil zu den Erfolgsaussichten der Klage erst nach Anrufung des Europäischen Gerichtshofs beantwortet werden könne. Dadurch kommt die klare Rechtsauffassung der Kammer zum Ausdruck, nach der auch eine nach Deckungsablehnung ergehende Entscheidung des EuGH bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten zu berücksichtigen ist. 

Fazit 

Das OLG Schleswig wendet die Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife auf den ersten Blick konsequent an und lässt sämtliche Urteile, die nach dem Tag der Bewilligungsreife ergehen, außer Betracht. Diese “Konsequenz” erweist sich bei genauerer Betrachtung allerdings als Trugschluss. Das OLG übersieht, dass der Inhalt der Schlussanträge auch vor dem Plädoyer des Generalanwaltes bereits vertreten wurde.  Es verkennt weiter, dass eine nach Bewilligungsreife zusprechende Rechtsprechung die “damalige” Erfolgswahrscheinlichkeit schlicht und ergreifend indiziert. Denn eine Rechtsauffassung kann nicht unvertretbar sein, wenn sie durch später ergehende positive Rechtsprechung bestätigt wird (“ohne Erfolgsaussichten kein späterer Erfolg.”). Die Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH zum Verfahren des EuGH C-100/21 vom 2. Juni 2022 sind damit indiziell für das Vorliegen der hinreichenden Erfolgsaussicht des Vorgehens des Versicherers im Zeitpunkt der Bewilligungsreife heranzuziehen.  

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Mehrvergleichsklausel im arbeitsrechtlichen Mandat

Neben unseren „Dauerbrennern“ wie Regressangelegenheiten und Deckungsstreitigkeiten in Sachen Abgasskandal, Datenschutzverstößen, Medizinrecht sowie dem Sach- und Personenversicherungsrecht, bearbeiten wir auch immer wieder Mandaten anderer Rechtsgebieten mit spannenden Einzelfragen, denen wir in unserem Blog eine kleine Bühne geben möchten Daher widmen wir uns in dieser Ausgabe erstmals dem (rechtsschutzversicherten Mandat im) Arbeitsrecht und erläutern, was es mit der sog. „Mehrvergleichsklausel“ auf sich hat.

 

Der „Fall“

Insbesondere in Kündigungsstreitigkeiten ist es üblich, dass zusammen mit dem eigentlichen Streitthema weitere Inhalte zum Gegenstand eines Vergleiches gemacht werden. So werden neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oft auch Regelungen zum Wettbewerbsverbot, der Rückgabe von Arbeitsmitteln oder des Arbeitszeugnisses getroffen, obwohl hierüber (noch) kein Streit bestand.

 

Die Frage

Streit entsteht dann häufig um die Frage, ob der Rechtsschutzversicherer die Kosten eines Mehrvergleichs auch dann tragen muss, wenn außer der Kündigung (noch) kein Streit zwischen den Parteien bestand. Die Antwort – wie üblich: Es kommt darauf an!

 

Zur Rechtslage

Im sog. „Mehrvergleichsfall“ entschied der BGH (Urteil vom 14.09.2005, Az.: IV ZR 145/04 (NJW 2006, 513)), dass ein Rechtsschutzversicherer auch die Kosten streitwerterhöhender Materien zu tragen hat, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kündigungsstreit stehen. Zur Begründung stellte der BGH darauf ab, dass den dort vereinbarten Versicherungsbedingungen (ARB 94) nicht zu entnehmen gewesen sei, dass solche Kosten nicht übernommen werden. Und einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer würde sich damit auch nicht erschließen, dass auch hinsichtlich der „nicht streitigen“ Vergleichsinhalte ein Verstoß des Arbeitsgebers vorliegen müsse, damit die (Mehr)Kosten übernommen werden.

Als Reaktion hierauf haben Rechtsschutzversicherer in den neueren Bedingungswerken eine klarstellende Klausel aufgenommen. Diese lautet regelmäßig:

Der Versicherer trägt nicht Kosten im Rahmen einer einverständlichen Regelung für Forderungen, die selbst nicht streitig waren oder Kosten, die auf den nicht versicherten Teil von Schadensfällen entfallen.

Da die Entscheidung des BGH zu den ARB 94 ergangen ist, in denen eine solche Klausel nicht enthalten war, scheint die Thematik damit zunächst geklärt. Allerdings halten das AG Dresden (Urteil vom 13.01.2017, Az.: 105 C 3867/16) und das AG Kassel (Urteil vom 08.01.2015, Az.: 414 C 5614/13) diese Klauselfassung für unwirksam, da sie intransparent sei. So sei unklar, was unter der Wendung „nicht streitig“ zu verstehen ist. Hiermit könnte bereits eine irgendwie geartete Uneinigkeit zwischen den Parteien gemeint sein oder auch „streitgegenständlich“. Letzteres ist die kundenfeindlichste Auslegung und daher im Rahmen der Inhaltskontrolle heranzuziehen. Im Ergebnis scheint die Klausel daher mit guten Argumenten als überraschend und im Widerspruch zum vereinbarten Vertragszweck stehend.

(Ober- oder höchstrichterliche Entscheidungen zur Wirksamkeit solcher Ausschlussklauseln liegen bislang nicht vor).

 

Praxisempfehlung

In der Praxis empfiehlt es sich, mögliche Mehrvergleiche penibel mit dem Rechtsschutzversicherer abzustimmen (auch außerhalb des Arbeitsrechts) und die Kostenübernahme vorab zu klären. So ist gewährleistet, dass im Nachhinein für Anwalt und Mandanten keine negativen Überraschungen folgen.

Sollte der Versicherer die Kostenübernahme (teilweise) verweigern, bietet es sich an, die vereinbarten Versicherungsbedingungen zu überprüfen. Fehlt eine eindeutige Klausel, dürfte in der Regel auch eine Eintrittspflicht bestehen. Ist eine solche Klausel dagegen vorhanden, muss die Rechtslage – und damit die Übernahmeverpflichtung – als ungeklärt angesehen werden.