Alles rund um das Thema Rechtsschutz­versicherungsrecht

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Mehrvergleichsklausel im arbeitsrechtlichen Mandat

Neben unseren „Dauerbrennern“ wie Regressangelegenheiten und Deckungsstreitigkeiten in Sachen Abgasskandal, Datenschutzverstößen, Medizinrecht sowie dem Sach- und Personenversicherungsrecht, bearbeiten wir auch immer wieder Mandaten anderer Rechtsgebieten mit spannenden Einzelfragen, denen wir in unserem Blog eine kleine Bühne geben möchten Daher widmen wir uns in dieser Ausgabe erstmals dem (rechtsschutzversicherten Mandat im) Arbeitsrecht und erläutern, was es mit der sog. „Mehrvergleichsklausel“ auf sich hat.

 

Der „Fall“

Insbesondere in Kündigungsstreitigkeiten ist es üblich, dass zusammen mit dem eigentlichen Streitthema weitere Inhalte zum Gegenstand eines Vergleiches gemacht werden. So werden neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oft auch Regelungen zum Wettbewerbsverbot, der Rückgabe von Arbeitsmitteln oder des Arbeitszeugnisses getroffen, obwohl hierüber (noch) kein Streit bestand.

 

Die Frage

Streit entsteht dann häufig um die Frage, ob der Rechtsschutzversicherer die Kosten eines Mehrvergleichs auch dann tragen muss, wenn außer der Kündigung (noch) kein Streit zwischen den Parteien bestand. Die Antwort – wie üblich: Es kommt darauf an!

 

Zur Rechtslage

Im sog. „Mehrvergleichsfall“ entschied der BGH (Urteil vom 14.09.2005, Az.: IV ZR 145/04 (NJW 2006, 513)), dass ein Rechtsschutzversicherer auch die Kosten streitwerterhöhender Materien zu tragen hat, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kündigungsstreit stehen. Zur Begründung stellte der BGH darauf ab, dass den dort vereinbarten Versicherungsbedingungen (ARB 94) nicht zu entnehmen gewesen sei, dass solche Kosten nicht übernommen werden. Und einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer würde sich damit auch nicht erschließen, dass auch hinsichtlich der „nicht streitigen“ Vergleichsinhalte ein Verstoß des Arbeitsgebers vorliegen müsse, damit die (Mehr)Kosten übernommen werden.

Als Reaktion hierauf haben Rechtsschutzversicherer in den neueren Bedingungswerken eine klarstellende Klausel aufgenommen. Diese lautet regelmäßig:

Der Versicherer trägt nicht Kosten im Rahmen einer einverständlichen Regelung für Forderungen, die selbst nicht streitig waren oder Kosten, die auf den nicht versicherten Teil von Schadensfällen entfallen.

Da die Entscheidung des BGH zu den ARB 94 ergangen ist, in denen eine solche Klausel nicht enthalten war, scheint die Thematik damit zunächst geklärt. Allerdings halten das AG Dresden (Urteil vom 13.01.2017, Az.: 105 C 3867/16) und das AG Kassel (Urteil vom 08.01.2015, Az.: 414 C 5614/13) diese Klauselfassung für unwirksam, da sie intransparent sei. So sei unklar, was unter der Wendung „nicht streitig“ zu verstehen ist. Hiermit könnte bereits eine irgendwie geartete Uneinigkeit zwischen den Parteien gemeint sein oder auch „streitgegenständlich“. Letzteres ist die kundenfeindlichste Auslegung und daher im Rahmen der Inhaltskontrolle heranzuziehen. Im Ergebnis scheint die Klausel daher mit guten Argumenten als überraschend und im Widerspruch zum vereinbarten Vertragszweck stehend.

(Ober- oder höchstrichterliche Entscheidungen zur Wirksamkeit solcher Ausschlussklauseln liegen bislang nicht vor).

 

Praxisempfehlung

In der Praxis empfiehlt es sich, mögliche Mehrvergleiche penibel mit dem Rechtsschutzversicherer abzustimmen (auch außerhalb des Arbeitsrechts) und die Kostenübernahme vorab zu klären. So ist gewährleistet, dass im Nachhinein für Anwalt und Mandanten keine negativen Überraschungen folgen.

Sollte der Versicherer die Kostenübernahme (teilweise) verweigern, bietet es sich an, die vereinbarten Versicherungsbedingungen zu überprüfen. Fehlt eine eindeutige Klausel, dürfte in der Regel auch eine Eintrittspflicht bestehen. Ist eine solche Klausel dagegen vorhanden, muss die Rechtslage – und damit die Übernahmeverpflichtung – als ungeklärt angesehen werden.

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Tätigkeit des Rechtsanwalts vor Eintritt des Rechtsschutzfalles

A. Einleitung

Die Abwicklung des rechtsschutzversicherten Mandats stellt sich häufig als lästiger Nebenkriegsschauplatz dar, auf dem ein organisatorischer Drahtseilakt zwischen Pragmatismus und rechtlicher Genauigkeit vollzogen wird. So möchte man sich einerseits kooperativ zeigen, um eine schnelle Deckungszusage zu erhalten, gleichzeitig aber nicht gezwungen werden, den Hauptsacherechtsstreit doppelt zu führen. Denn die Unterstützung des Mandanten im Deckungsprozess durch einen Rechtsanwalt mündet nicht selten in einer Auseinandersetzung über rechtliche Fragestellungen, zu deren Beantwortung ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer eigentlich gar nicht verpflichtet ist.

Dabei kann eine Unterstützung im Außenverhältnis u. U. sogar kontraproduktiv sein, wenn eine anwaltliche Tätigkeit schon erfolgt, ohne dass bereits der Rechtsschutzfall eingetreten ist oder der Rechtsschutzfall erst durch die Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst wird.

 

B. Ein alter Bekannter: der Rechtsschutzfall als Kernvoraussetzung des versicherungsrechtlichen Anspruchs

Zwar erbringen Rechtsschutzversicherer laut ihren Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen die für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen erforderlichen Leistungen.

Ohne Versicherungsfall kann sich die vom Vertragsschluss an bestehende Pflicht des Versicherers zur Gefahrtragung aber nicht zu einer konkreten Leistungspflicht verdichten. Der Rechtsschutzfall ist die aufschiebende Bedingung, die nach dem Rechtsgedanken des § 158 Abs. 1 BGB erst die Verpflichtung des Versicherers auslöst, den durch den Versicherungsfall hervorgerufenen Vermögensnachteil des Versicherungsnehmers auszugleichen.

Ein Problem kann sich in der Praxis dann stellen, wenn erst die Weigerung des Hauptsachegegners, Ansprüchen des Versicherungsnehmers Folge zu leisten, den maßgebliche Rechtsverstoß darstellt, der Rechtsanwalt den Mandanten aber schon vor der Zurückweisung unterstützt, etwa indem er in dessen Namen Gestaltungsrechte ausübt. An dieser Stelle ist auf die Entscheidungen des BGH Bezug zu nehmen, nach denen bei Ausübung eines wegen fehlerhafter Belehrung bestehenden „ewigen Widerrufsrechts“ der Rechtsverstoß nicht schon in der Belehrung selbst, sondern in der Ablehnung des Anspruchsgegners zu sehen ist. Es liegt dann der Einwand nahe, dass Gebühren angefallen sind, ohne dass sich die Eintrittspflicht des Versicherers bereits konkret verdichtet hätte.

 

C. Eine alte juristische Regel: Kein Grundsatz ohne Ausnahme

Eine Argumentation kann nun sein, dass mit dem Eintritt des Rechtsschutzfalls in Form der Verweigerungshaltung des Anspruchsgegners fest zu rechnen war. Es dürfte schon im Interesse des Versicherers liegen, dass ein mit Sicherheit drohender Rechtsverstoß einem bereits eingetretenen gleichsteht. Andernfalls hätten es sowohl Versicherungsnehmer als auch sein Gegner selbst noch in der Hand, im Hinblick auf die – so gut wie sichere und damit nicht mehr versicherbare – künftige Auseinandersetzung einen Versicherungsvertrag abzuschließen

Bei der Prüfung der Frage, ob ein drohender Rechtsverstoß einem endgültigen gleichgestellt werden kann, kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände an. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Schuldner den Anspruch erkennbar und nachweisbar ernstlich, wenn auch gutgläubig, bestreitet.

Insgesamt scheint es angebracht, zu prüfen, ob der Versicherungsnehmer selbst in einem bestimmten Tatsachenkern einen bereits eingetretenen Rechtsverstoß sieht oder nicht.

Darüber hinaus bleibt der Blick in den konkreten Versicherungsvertrag und das dazugehörige Bedingungswerk. Nach den Bedingungen einzelner Versicherer wird im Beratungs- und Vorsorgebereich teilweise auf das Erfordernis eines Versicherungsfalls im herkömmlichen Sinn verzichtet und nur auf den Beratungsbedarf abgestellt. Zudem sehen einzelne Versicherer Regelungen in ihren ARB vor, nach denen sie bei einer mehrjährigen Dauer des Versicherungsvertrags zwar nicht auf das Vorliegen eines Versicherungsfalls aber auf den Einwand der Vorvertraglichkeit verzichten. So kann im Einzelfall der Vortrag des Versicherungsnehmers dahingehend lauten, dass ein bereits vor Versicherungsschutz liegender Rechtsverstoß vorgeworfen wird, ohne dass es eines weiteren, nach Tätigkeit des Rechtsanwalts liegenden Verstoßes bedürfte.

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LG Düsseldorf

LG Düsseldorf: Anforderungen hinreichende Erfolgsaussichten Dieselskandal

Zum Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer verfolgte Ansprüche gegen die Daimler AG, aufgrund des Dieselabgasskandals und stellte – nach klageabweisendem Urteil in der ersten Instanz – unter dem 17. Oktober 2021 eine Deckungsanfrage für das Berufungsverfahren. Der Versicherer lehnte die Gewährung von Rechtsschutz für das Berufungsverfahren wegen fehlender Erfolgsaussichten ab.

Der Versicherer verweigerte auch im Deckungsprozess trotz des am 23. November 2021 übersandten Stichentscheides weiterhin den Deckungsschutz und sprach letzterem eine Bindungswirkung wegen offenkundiger Verkennung der Sach- und Rechtslage ab. Dies begründete er damit, dass das Vorhandensein eines Thermofensters oder einer sog. Kühlmittel-Sollwert-Temperatur-Regelung nicht für die Begründung eines deliktischen Schadensersatzanspruches ausreiche. Der Versicherungsnehmer sei insbesondere verpflichtet, greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer sittenwidrigen unzulässigen Abschalteinrichtung vorzutragen. Im Übrigen sei der Versicherungsnehmer nicht auf das angefochtene Urteil eingegangen und/oder habe Rechtsfehler vorgetragen. Auch die formellen Anforderungen an das Gutachten seien nicht erfüllt.

 

Entscheidungsgründe

Das Landgericht Düsseldorf überzeugten die Argumente der Beklagten nicht. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Gewährung von Rechtsschutz wegen fehlender Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens abzulehnen. Denn nach den entsprechend anzusetzenden Kriterien für Gewährung von Prozesskostenhilfe gem. § 114 ZPO war die Berufung des Klägers hinreichend aussichtsreich.

Es dürften nach dem Landgericht (richtigerweise) keine überspannten Anforderungen an die Erfolgsaussichten gestellt werden. Vielmehr genügt es, dass das Gericht den Standpunkt der Partei für vertretbar oder von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Insbesondere darf das Erfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung vom Hauptsacheverfahren in den Deckungsprozess verlagert wird.

Im Hinblick auf die Möglichkeit der Beweisführung genüge es für die hinreichende Erfolgsaussicht grundsätzlich, dass eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht käme und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der bedürftigen Partei ausgeht.

Im Dieselskandal seien greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht erst dann gegeben, wenn das Kraftfahrtbundesamt eine Rückrufaktion angeordnet habe.

Inwiefern die Erfolgsaussichten dabei von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abhängen (C-100/21), vermochte das Gericht nicht abschließend zu entscheiden. Die Einflüsse der europarechtlichen Richtlinien unterlägen einer dynamischen Entwicklung, deren Auswirkungen auf die nationale Rechtsprechung nicht im Deckungsprozess zu entscheiden seien.

 

Anmerkungen

Die Entscheidung überzeugt. Das Landgericht zieht den bei einigen Versicherern fest verwurzelten Zahn, im Deckungsprozess wie der eigentliche Hauptsachegegner gegenüberzutreten. Gelegentlich verlangen die Gerichte in Deckungsstreitigkeiten gar Beweisangebote aus dem Hauptsacheprozess (etwa Zeugenbeweise der handelnden Personen bei den Automobilherstellern oder Sachverständigengutachten am streitgegenständlichen Fahrzeug). Solche Verfügungen bzw. Hinweise muten mit Blick auf § 114 ZPO doch sehr seltsam an.

Denn der Deckungsprozess darf (wie das Landgericht Düsseldorf prägnant darlegt) nicht dazu ausgenutzt werden, eine „vorläufige“ Hauptsacheentscheidung herbeizuführen. Für die Gewährung von Deckungsschutz ist nur erforderlich, dass die Rechtsansicht des Versicherungsnehmers vertretbar erscheint. Nicht ausgeschlossen ist, dass das Hauptsachegericht dennoch anders entscheidet. Dieses Risiko geht immer zu Lasten des Versicherers und darf nicht treuwidrig auf den Versicherungsnehmer verlagert werden.

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Einordnung und Praxistipp zu VII ZR 278/20

Ausgehend von der in unserem anderen Blog-Beitrag dargestellten BGH-Rechtsprechung wird einem Rechtsanwalt ein Beratungsfehler schwer vorzuwerfen sein.

Denn wenn es schon der Beklagten selbst (dort: Daimler) nicht gelingt, substanziiert vorzutragen, dass uns weshalb eine außergerichtliche Streitbeilegung unter keinen Umständen zu erwarten sein könne, wird auch der Rechtsanwalt mangels Kenntnis der inneren Vorgänge der Gegenpartei einen solchen Schluss weder selbst ziehen noch formulieren können. Ein Schadensersatzanspruch erscheint daher abwegig.

Zudem dürfte sich die Entscheidung auf die versicherungsrechtliche Auseinandersetzung dergestalt übertragen lassen, dass die Geschäftsgebühr zur erforderlichen und vereinbarten Versicherungsleistung gehört. Denn die Voraussetzungen der deliktischen Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten („erforderlich und zweckmäßig“) weisen zwar gewisse Unterschiede zu denen des versicherungsrechtlichen Leistungsumfanges („erforderlich und vereinbart“, § 125 VVG) auf. Da die deliktischen Merkmale aber restriktiver auszulegen sind, als die Vertraglichen, muss der Versicherer erst Recht zur Freistellung von der Geschäftsgebühr verpflichtet sein, wenn sogar der deliktische Schädiger (Meta, Daimler, PKV und co.) selbige zu ersetzen hat.

 

Praxistipp:

In der Praxis wird es neben der Erforderlichkeit der Geschäftsgebühr auch insbesondere darauf ankommen, ob Sine solche überhaupt in tatsächlicher Hinsicht angefallen ist. Entsprechend ist vorzutragen und ggf. unter Vorlage entsprechender Unterlagen zu beweisen, dass ein unbedingter Klageauftrag gem. § 19 RVG nicht erteilt wurde. Die entweder gestufte oder unter eine Bedingung (z. B.: Deckungszusage der RSV, fruchtlose außergerichtliche Geltendmachung) gestellte Beauftragung – erst außergerichtlich sodann gerichtlich – sichert, dass die Geschäftsgebühr auch ordentlich entstanden ist.

Im Hauptsacheprozess muss das Gericht auf mangelnden Vortrag nicht hinweisen (§ 139 Abs. 2 S. 1 ZPO, vgl. VI ZR 354/19). Im Deckungsrechtsstreit sollte der Nachweis

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BGH

Zur Geschäftsgebühr im Abgasskandal BGH VII ZR 278/20

Gehörte es früher noch zum guten Ton, den Rechtsanwalt für die außergerichtliche Tätigkeit zu entlohnen, erfuhr mit dem § 19 RVG eine bis zum Aufkommen von “Massenverfahren” wohl eher als Dunkelnorm zu bezeichnende Regelung in den vergangenen Jahren eine (unrühmliche) Prominenz.

Denn ob bzgl. der Geltendmachung von Datenschutzverstößen, dem Durchsetzen von Auskunft- oder Widerrufsrechten, der Rückforderung überhöhter Versicherungsbeiträge oder eben (mal wieder) dem Abgasskandal: sowohl einige Versicherer als auch die Beklagten der Hauptsache stellen sich hinsichtlich der abgerechneten Geschäftsgebühr fast schon standardmäßig auf den Standpunkt, dass eine solche nicht angefallen, jedenfalls aber nicht erforderlich (§ 125 VVG) bzw. nicht notwendig und erforderlich (Deliktsrecht) sei. Der Anwalt hätte den Mandanten ja darauf hinweisen können, dass die Gegenseite sich “bekanntermaßen” wie in “allen anderen dieser Angelegenheiten” nicht vergleichsbereit zeige.

Die Geschäftsgebühr sei daher kein Teil der erforderlichen und vereinbarten Leistung, alternativ stünde dem Versicherungsnehmer wegen der Fehlberatung ein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch zu, sofern der Rechtsanwalt dem Versicherungsnehmer eine gesonderte (zwecklose) außergerichtliche Tätigkeit angeraten habe.

Dass der Bundesgerichtshof dem selbst im Abgasskandal nicht ohne Weiteres zu folgen scheint, hatten wir bereits im August unter Beleuchtung der existenten – aber im Ergebnis nahezu begründungslosen - Entscheidungen des BGH dargestellt.

 

Nunmehr deutet sich nach einem Hinweisbeschluss gem. § 552a ZPO (vom 1. Dezember 2022, Az.: VII ZR 278/20) eine eindeutige (und wohlbegründete) Leitlinienjudikatur an, nach der der Bundesgerichtshof diese gegen die Ersatzfähigkeit der Geschäftsgebühr vorgetragenen Argumente für jedenfalls nicht substanziiert genug hält.

 

So ist für die Rechtsansicht, es fehle bei einer offensichtlichen Erfolgsaussichtslosigkeit der außergerichtlichen Tätigkeit zwar grundsätzlich Platz:

 

“Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur außergerichtlichen Vertretung im Sinne der Nr. 2300 VV RVG soll schnelle und einverständliche Regelungen ohne Einschaltung der Gerichte ermöglichen, Sie ist zweckmäßig und regelmäßig erforderlich, wenn der Versuch einer – vom Gesetzgeber gewünschten (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 2 u., 147 f.) - außergerichtlichen Streiterledigung nicht von vornherein ausscheidet, wie etwa im Falle einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14 Rn. 16 f. m.w.N., NJW 2015, 3793). Ist der Schädiger bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen ‘Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/44 Rn. 14 m.w.N., NJW 2015, 3793; Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 345/10 Rn. 38, JurBüro 2013, 418).”

 

Zur Darlegungslast führt der BGH aus:

 

“Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der konkreten Rechtsverfolgung stellen dabei zwar vom Geschädigten darzulegende und im Streitfall zu beweisende Anspruchsvoraussetzungen dar (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - Vla ZR 100/21 Rn. 12 m.w.N., WM 2022, 543). Die Darlegung einer dem Geschädigten bekannten Zahlungsunwilligkeit obliegt jedoch nach allgemeinen Grundsätzen dem Schädiger.”

 

Übertragen auf die konkreten Konstellationen erteilt der Bundesgerichtshof allen allgemeinen und nur auf andere Verfahren querverweisenden Argumentationen eine – recht deutliche – Absage:

“Der von der Revision aufgezeigte Instanzvortrag der Beklagten genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Entgegen der Darstellung der Revision erschöpfte er sich in tatsächlicher Hinsicht letztlich in der Behauptung, die "Rechtsansicht” der Beklagten sei zur Zeit der außergerichtlichen Anspruchsverfolgung allgemein bekannt gewesen. Abgesehen davon, dass damit schon nicht hinreichend dargelegt worden ist, um welche "Rechtsansicht” es sich konkret handeln soll, beinhaltete der Vortrag nicht, dass die Beklagte zur fraglichen Zeit unter keinen Umständen außergerichtliche Zahlungen geleistet hätte, etwa im Vergleichswege, und dass auch dies allgemein oder jedenfalls den Bevollmächtigten des Klägers bekannt gewesen wäre, Die Rechtsauffassung, nicht zur Leistung verpflichtet zu sein, schließt eine Vergleichsbereitschaft nicht ohne Weiteres aus.”

 

Zur rechtsschutzversicherungsrechtlichen Einordnung:

Auch den einzelnen Versicherern gelingt ein darüberhinausgehender Vortrag jedenfalls in den uns bekannten Verfahren nicht.

 

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Wirksamer Vorbehalt in Deckungszusagen

Die Deckungszusage, die keine ist?

Selbst bei erteilter Deckungszusage durch den Versicherer ist dessen Inhalt penibel genau zu erfassen. Denn regelmäßig stellen Rechtsschutzversicherer ihr deklaratorisches Schuldanerkenntnis unter die Hauptsache betreffende Vorbehalte. Solche sind im Grundsatz wirksam und können bei Einleitung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen durch den Versicherungsnehmer entgegen den festgesetzten Bedingungen zu Rückforderungsansprüchen des Versicherers hinsichtlich aller Verfahrenskosten führen. Auch ein falsche oder unzureichende Aufklärung des Rechtsanwaltes über das Kostenübernahmeversprechen kann im Einzelfall zu einem Schadensersatzanspruch führen.

In einem so gelagerten Fall hatte der Versicherer den Deckungsschutz für eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung unter die Bedingung gestellt, dass das Gericht die Tätigkeit des Versicherungsnehmers als Arbeitnehmer und nicht als Selbständiger feststellt. Das Arbeitsgericht entschied zu Ungunsten des Versicherungsnehmers und ging von einer selbständigen Tätigkeit aus. Daraufhin forderte der Versicherer alle im Rahmen des Prozesses gezahlten Kosten zurück.

 

Zu Recht?

Ja. Denn der Vorbehalt hinsichtlich der Arbeitnehmereigenschaft war wirksam, die daraus abgeleitete Rechtsfolge korrekt. Ausgeschlossen wird der Rechtsschutz damit grundsätzlich für die Fälle, in denen der Versicherungsnehmer als gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person betroffen ist oder eine freiberufliche oder selbstständige Tätigkeit ausübt bzw. ausgeübt hat.

Nach der herrschenden Literaturansicht und der herrschenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Harbauer, ARB 2010 vor § 1 Rn. 4; BGH NJW 1992, 1509 unter 2 für einen Fall des § 4 Abs. 2 lit. a ARB 75) begrenzen die nach den Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen der Versicherung (ARB) unter Versicherungsschutz gestellten Eigenschaften und Leistungsarten den Gegenstand der Rechtsschutzversicherung. Stellt sich (auch nachträglich) heraus, dass der Versicherungsnehmer eine für den Versicherungsumfang relevante Eigenschaft nicht innehatte, so ist der Versicherer an seine Deckungszusage nicht mehr gebunden. Auf eine, unter einem entsprechenden Vorbehalt erteilte Deckungszusage, kann sich der Versicherungsnehmer dann nicht mehr berufen. Denn dies steht dem, in einem besonderen Maße von Treu und Glauben geprägten Vertragsverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer entgegen.

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Der Wandel des Rechtsmarkts aus Versicherersicht

Bereits am vergangenen Donnerstag (6. Oktober 2022) hat die Keen Law Rechtsanwalts GmbH im Eilrechtsschutzverfahren einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die ADAC Versicherung AG in München auf Grundlage des UKlaG eingereicht.  

Verfügungsklägerin ist der Verbraucherschutzverband Schutzgemeinschaft für Bankkunden e. V. (SfB). Gemeinsam mit dem SfB soll es der Verfügungsbeklagten untersagt werden, die örtliche Zuständigkeit in anhängigen Verfahren wegen Streitigkeiten über Rechtsschutzleistungen zu rügen.  

Sämtliche bekannten Vertragswerke des ADAC beinhalten eine Klausel, nach der es dem einzelnen Versicherungsnehmer ermöglicht werden soll, den ADAC vor jedem sachlich zuständigen (deutschen) Gericht in Anspruch zu nehmen. Entgegen diesem Vertragsversprechen haben die Prozessbevollmächtigten des ADAC die örtliche Zuständigkeit der angerufenen Gerichte, die nicht in München (§§ 12, 17 ZPO) oder im Gerichtsbezirk des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers (§ 215 VVG) liegen, unter Berufung auf die Unwirksamkeit der Klausel in Abrede gestellt.  

„Wer sich im Verbrauchervertragsbereich besonders versicherungsnehmerfreundlich geriert, soll sich auch an seinen Zusagen messen lassen. Der vorgeschobene Einwand der Unwirksamkeit der Klausel darf die verbraucherschutzwidrige Praktik des Versicherers nicht verschleiern. Wir freuen uns, mit der Schutzgemeinschaft für Bankkunden e. V. einen starken verbandsklagebefugten Verbraucherschutzverband an unserer Seite gewonnen zu haben, um solche und ähnliche Verhaltensweisen auch zukünftig effektiv zu unterbinden.“
Dr. Tim Horacek, Rechtsanwalt (Keen Law)  

Aus unserer Sicht ist dieses Verhalten aus gleich mehreren Gründen als verbraucherschutzwidrige Praktik zu qualifizieren. Denn die betroffenen Versicherungsnehmer müssen nach vorgebrachter Rüge entweder das Risiko eines klageabweisenden Prozessurteils hinnehmen, oder den Rechtsstreit an das jedenfalls örtlich zuständige Gericht verweisen. Letztere Variante ist nicht nur mit einer erheblichen Verzögerung des Rechtsstreites, sondern auch mit der zwingenden Folge der Kostentragung (§ 281 ZPO) verbunden. Auf diesem Weg verhindert der ADAC eine effektive und schnelle Durchsetzung der Rechte der Versicherungsnehmer. Dies gilt umso mehr, als dass es dem ADAC auch ungeachtet der rechtlichen Wirksamkeit der Klausel ohne Weiteres möglich wäre, sich in der mündlichen Verhandlung rügelos einzulassen, oder den Rügeverzicht im Rahmen des schriftlichen Vorverfahrens wirksam zu erklären. Rechtsgründe hindern den ADAC an der Einhaltung seines Versprechens demnach nicht.

Der Vorstandsvorsitzende des Schutzgemeinschaft für Bankkunden e. V., Dr. Siegbert Bregenhorn zur Zusammenarbeit mit der Keen Law Rechtsanwalts Gmbh:

"Wie die Erfahrung lehrt, ist der Verbraucher - sei er Versicherungsnehmer, Anleger oder Bankkunde - häufig vom "Kleingedruckten" überrascht, wenn er zur Kasse gebeten wird oder auf welche Schwierigkeiten er stößt, um seinen Anspruch durchzusetzen.
Gegenüber den oft übermächtigen Organisationen hat man dabei als Einzelner im Regelfall keine Chance, sein Recht zu bekommen.
Nach dem Motto: "Vereint sind auch die Schwachen stark", besteht für Mitglieder in einem Schutzverein dagegen häufig eine reelle Chance, Ansprüche abzuwehren oder sein Recht durchzusetzen.
Obwohl sich der Gesetzgeber bereits seit 1896 für den Schutz der Verbraucher einsetzt, wird von Anbietern immer wieder gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verstoßen. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden setzt sich seit über 20 Jahren für die Interessen ihrer Mitglieder und Verbraucher ein. Häufig bereits präventiv. Wo notwendig und eine gütliche Einigung nicht möglich ist, gehen wir mit qualifizierten und seriösen Anwaltskanzleien auch gerichtlich vor."
 

Berlin, den 11. Oktober 2022

 

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LG Rottweil

LG Rottweil: Präklusion des Versicherers

Knapp vier Monate ist es mittlerweile her, dass sich der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Rantos in der Rechtssache C-100/21 in seinen Schlussanträgen verbraucherfreundlich positioniert und dafür plädiert hat, die Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 dahingehend auszulegen, dass sie auch dem Schutz von Käufern eines Fahrzeugs dienen, sofern der Hersteller Fahrzeuge in den Verkehr bringt, die nicht in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typen bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften stehen.
Ob bzw. inwiefern die im Juni 2022 veröffentlichten Schlussanträge bzw. das Vorlageverfahren als Solches auf die Erfolgsaussichtenprüfung Einfluss zu nehmen vermag, wenn der Europäische Gerichtshof selbst noch kein Urteil gefällt hat, haben wir bereits in unserem Blogbeitrag vom 3. August 2022 berichtet.
Diesen Beitrag vertiefen wir an dieser Stelle unter Anführung eines aktuellen durch uns erstrittenen Urteils vor dem Landgericht Berlin (vom 22. September 2022, Az.: 23 O 132/21). In dem dortigen Sachverhalt ging es um einen Deckungsanspruch bzgl. eines Autokreditwiderrufes. Die Beklagte Rechtsschutzversicherung lehnte mit Schreiben vom 14. April 2021 die Deckung für die Berufung unter dem Verweis ab, das erstinstanzliche Gericht habe die Kriterien des BGH für ein Greifen des Treuwidrigkeitsweinwandes korrekt angewendet.  

Erst im September 2021 beantwortete der Europäische Gerichtshof die durch das Landgericht Ravensburg mit Entscheidung vom 5. März 2020 vorgelegten Verfahren (dortige Az.: 2 O 328/19, 2 O 280/19 und 2 O 334/19), die sich mit der Rechtsmissbräuchlichkeit des Verbraucherkreditvertragswiderrufs beschäftigte.
Nach Ansicht des Landgerichts Berlin steht eine eindeutige (ablehnende) BGH-Rechtsprechung den hinreichenden Erfolgsaussichten während eines schwebenden Vorabentscheidungsverfahren nicht entgegen: 

 „Zwar kann sich der Kläger nicht unmittelbar auf die im Tatbestand genauer bezeichnete Entscheidung des EuGH vom 9.9.2021 berufen. Bei der Prüfung, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht hat, ist auf den – hier bereits am 14.4.2021 liegenden – Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.12.2016 – 12 U 106/16).
Daraus, dass die EuGH-Entscheidung erst nach dem 14.4.2021 datiert, ist indes nicht zu schließen, dass europarechtliche Bedenken gegen einen Ausschluss des Widerrufsrechts aus Erwägungen nach § 242 BGB nicht bereits vorher vertretbar waren. Zwar sah der BGH selbst von einer Vorlage gegenüber dem EuGH ab, weil der Rechtsmissbrauchseinwand eine nach rein nationalem Recht zu beantwortende Frage sei. Dass jedoch bei einer durch eine europäische Richtlinie angestrebten Vollharmonisierung die nationalen Gerichte daran gehindert sein können, an einer Rechtsprechung festzuhalten, die mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel nicht in Einklang steht, hatte der EuGH zu diesem Zeitpunkt bereits in anderem Zusammenhang entschieden (vgl. zur RL 2002/65, EuGH, Urteil vom 11.9.2019 – C-143/18, Rn. 34 ff; zitiert nach: NJW 2019, 3290). Auch Erwägungsgrund 9 der vorliegend maßgeblichen Richtlinie 2008/48/EG sieht eine Vollharmonisierung vor.“ 

Anmerkungen 

Dem Landgericht zu Folge, ist eine existente und sich immer wieder bestätigende BGH-Rechtsprechung während eines laufenden Vorabentscheideverfahrens insofern bemäkelt, als dass sich das Vorabentscheideverahren auf eine europäische Richtlinie bezieht, die eine Vollharmonisierung anstrebt. Selbiges ist bei der im Dieselskandal derzeit in Streit stehenden Richtlinie 2007/46/EG der Fall (vgl. dortige Erwägungsgründe).
Damit bekräftigt auch das Landgericht Berlin, dass bei der Prüfung der Erfolgsaussichten im Deckungsstreit nicht allein auf die Leitjudikatur des Bundesgerichtshofs abgestellt werden darf – insbesondere, wenn die europarechtlichen Fragestellungen dem Europäischen Gerichtshof bereits vorgelegt worden sind.  

 

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OLG Celle

OLG Celle zur Fristsetzungsklausel

Die Schlussanträge des Generalanwaltes beim Europäischen Gerichtshofes Rantos (Rechtssache C-100/21) lassen geschädigte Verbraucherinnen und Verbraucher wieder hoffen (vgl. Prof. Heese „Rom liegt nicht in Karlsruhe“).  

In Erwartung des Urteils aus Luxemburg und der Reaktion aus Karlsruhe reagieren die Gerichte vielerorts unterschiedlich. Teils werden Verfahren ausgesetzt, teils wird weiträumig terminiert, oder „wenigstens“ die Revision zugelassen. Vereinzelt werden Klagen weiterhin unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes abgewiesen – obgleich dieser die eigenen Verfahren derzeit zurückstellt. In einigen abweisenden Entscheidungen finden sich – ebenso wie in den vorangegangenen Schriftsätzen der Automobilvertreter und denen der Rechtsschutzversicherer – rechtliche Ausführungen dahingehend, die (unterstellt) drittschützenden europarechtlichen Normen zielten in ihrer Zweckrichtung jedenfalls nicht auf das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht der Käufer ab. Daher fehle es an einem kausalen Schaden. Weiter fokussiert sich die Verteidigungslinie in diesen Verfahren auf den Einwand, den Automobilherstellern sei kein schuldhaftes (fahrlässiges) Verhalten vorzuwerfen, da der Verbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen (in der Regel und in concreto: Thermofenster) den Rechtsnormen nicht offenbar zuwiderläuft.  

Dem tritt das OLG Celle in zwei Aussetzungsbeschlüssen vom 17. August 2022 (Az.: 7 U 148/22) und vom 23. August 2022 (Az.: 7 U 172/21) entgegen.  

So heißt es im ersten Beschluss:

„Nach der mit Pressemitteilung vom 1. Juli 2022 im Verfahren Vla ZR 335/21 verlautbarten Rechtsauffassung des BGH, der sich der Senat anschließt, hat die anstehende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21 möglicherweise Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht, soweit Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen sein sollten, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen.  

(…) 

Damit hat die Entscheidung des EuGH auch für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Bedeutung (…). 

Dem steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass der BGH durch Entscheidung mehrerer Senate bislang die Auffassung vertreten hat, die in § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV umgesetzten Vorschriften der vorgenannten Richtlinie bezweckten nicht den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer von Kraftfahrzeugen und dienten damit nicht deren Interessen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 12 ff.), (…).  

Denn wie sich aus der oben angegebenen Pressemitteilung des BGH vom 1. Juli 2022 ergibt, hält der BGH an dieser rechtlichen Beurteilung ganz offensichtlich nicht mehr ohne weiteres fest. Dabei dürfte auch auszuschließen sein, dass sich der BGH den von der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit gegen eine Aussetzung angeführten Argumenten — so u.a. der fehlenden Bindungswirkung und vermeintlich nicht vorhandenen Überzeugungskraft der Schlussanträge des Generalanwalts, dem angeblich mangelnden Willen des Verordnungsgebers, der EG-FGV eine Schutzwirkung für den einzelnen Fahrzeugerwerber beimessen zu wollen, der Frage der Korrelation einer auf bloße Fahrlässigkeit gestützten Haftung für Vermögensschäden mit deutschem Gewährleistungs- und Deliktsrecht sowie der Problematik, ob sich ein auf Rückabwicklung gerichteter Schadensersatzanspruch überhaupt auf § 823 Abs. 2 BGB (i.V.m. entsprechenden Schutzgesetzen) stützen lässt — zum Zeitpunkt der o.g. Pressemitteilung nicht gewahr gewesen wäre und diese dementsprechend nicht berücksichtigt hätte.“ 

 

In dieser Entscheidung stellt der Senat noch recht allgemein heraus, der Bundesgerichtshof gehe offensichtlich nicht ohne Weiteres von einem fehlenden Schaden oder einem nicht nachzuweisenden Verschulden aus, da er der anstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes anderenfalls kein derart hohes Gewicht beigemessen hätte.
In dem nur wenige Tage später ergangenen zweiten Aussetzungsbeschluss setzt sich das OLG dann noch konkreter mit den beiden Tatbestandsmerkmalen auseinander. So schreibt er zum wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrecht:  

Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände sprechen nach der Bewertung des Senats nicht gegen eine Aussetzung. Das gilt insbesondere für die Erwägung, eine etwaige Schutzgesetzverletzung könne den hier geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung nicht tragen, denn dies ist gerade die Rechtsfrage, deren Beantwortung abzuwarten ist. Nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Rantos schützen die genannten Vorschriften insbesondere das Interesse eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der VerordnungNr. 715/2007 ausgestattet ist. 

Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein derartiges Interesse einen Anspruch auf „Rückabwicklung“ des Fahrzeugkaufvertrages gegen den Fahrzeughersteller begründen könnte. 

Bezüglich des Verschuldens führt der Senat aus: 

„Anders als die Beklagte meint, scheidet ihre Haftung nicht deshalb aus, weil ihr ein schuldhaftes (fahrlässiges) Verhalten nicht zur Last gelegt werden könnte.  

(…) 

Die Haftung wegen Fahrlässigkeit ist nur bei einem unvermeidbaren Rechtsirrtum ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 — XI ZR 418/13, juris Rn. 14 allg. zu § 276 BGB; Urteil vom 30. Mai 1972 — VI ZR 6/71, juris Rn. 29; Urteil vom 12. Mai 1992 — VI ZR 257/91, juris Rn. 20 jew. zum Deliktsrecht). Die Verneinung des Schuldvorwurfs setzt voraus, dass die letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsmeinung nicht nur vertretbar, sondern auch aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen worden war (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2005 — III ZR 264/04, juris Rn. 19). Auch wenn es sich bei der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung um einen dem Kraftfahrtbundesamt bekannten Industriestandard gehandelt hatte, betrifft dies nur die Technologie als solche, besagt aber nichts über die Zulässigkeit der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall.“  

Das Oberlandesgericht arbeitet nachvollziehbar und überzeugend heraus, dass sowohl die Frage des Schadens als auch das Feststellen des Verschuldens im Hauptsacheverfahren einer eingehenden bedarf, sofern der Europäische Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwaltes folgen sollte.
Für Deckungsverfahren bedeutet dies, dass in Erwartung der Entscheidung des EuGH für beide Fragestellungen wenigstens eine offene Rechtslage besteht, weswegen der Deckungsschutz für solche Verfahren in jedem Fall zu gewähren ist. Denn bei der Prüfung der Erfolgsaussichten reicht es aus, wenn wenigstens ein Oberlandesgericht die Rechtsauffassung des Versicherungsnehmers dergestalt stützt und für vertretbar bzw. untersuchungspflichtig hält, wie das OLG Celle es vorliegend tut.