EuGH-Urteil stärkt Verbrauchern den Rücken

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Ebenso lang erwartet wie (unmittelbar) umfangreich kommentiert urteilte der Europäische Gerichtshof am 21. März 2023 in der Sache gegen die Mercedes Benz Group AG (Rs. C-100/21, abrufbar unter https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=271641&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1).  

Alleine der Eintrag unter DeJure.org gibt mit mittlerweile 35 Einträgen unter der Rubrik “Kurzfassung/Presse” ein (quantitativ) überdurchschnittliches Echo – insbesondere durch Kurzbeiträge auf dem Portal www.anwalt.de - wider.  

Im Kern bestätigt der Europäische Gerichtshof die in unserem Blog bereits besprochenen Schlussanträge des Generalanwaltes Rantos vom 1. Juni 2022: 

  • 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 sind dahingehend auszulegen, dass ihnen Drittschutz bezüglich der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeuges zukommt, insbesondere hinsichtlich des Interesses, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist. 
  • Das Unionsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten vorzusehen, dass der Erwerber eines Fahrzeuges einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. 
  • Der entsprechend auszuurteilende Schadensersatz muss im Lichte des unionsrechtlich vorgesehenen Effektivitätsgrundsatzes angemessen sein. 

Die Reaktionen auf die Entscheidung hätten unterschiedlicher kaum ausfallen können. Während sich die Stimmung auf Verbraucherschutzseite irgendwo zwischen Genugtuung und Aufbruchsstimmung einpendelte, suchten die automobilindustrienahen Juristen das Haar in der Suppe: Der EuGH habe sich nicht zum Schaden geäußert und auch im Übrigen die Umsetzung seiner Vorgaben vollumfänglich in die Hände der nationalen Gerichte gelegt. Schließlich hätten die jeweiligen Fahrzeughersteller jedenfalls nicht schuldhaft (fahrlässig) gehandelt, indem sie die entsprechenden europarechtlichen Vorgaben verletzten. Diese Stimmen verkennen (wohl geflissentlich, jedenfalls offenkundig), dass die objektive Schutzgesetzverletzung ein fahrlässiges Handeln nahelegt (BGH vom 13. Dezember 1984, Az.: III ZR 20/83) und ein Schaden neben dem Dispositionsschaden jedenfalls auch in Gestalt der drohenden Stilllegungsmaßnahmen zu bejahen ist (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2022, Az.: VII ZR 278/20).  

Was sämtlichen abschlägigen Stimmen indes gemeinsam ist: sie alle negieren mit einer beeindruckenden Gelassenheit, dass der Europäische Gerichtshof ausdrücklich gerade der Acte-Claire Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. Nur VI ZR 252/19) widerspricht, auf deren Grundlage viele Gerichte (und Versicherer) trotz des seit Februar 2021 vorliegenden Vorlagebeschlusses des Landgerichts Ravensburg (vom 12. Februar 2021, Az.: 2 O 393/20) einen Drittschutz kategorisch ablehnten und sich mit den (bejahendenfalls zu beantwortenden) Fragen nicht beschäftigten (mussten/wollten). 

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes unterstreicht nun, was spätestens seit dem vorgenannten Vorlagebeschluss gilt: die diesbezüglichen Rechtsfragen sind offen. Der Bundesgerichtshof ist Zeiten der europarechtlich geprägten Leitjudikatur eben nicht mehr die letzte Instanz. Er wird sich (vgl. Pressemitteilung zum Verfahren VIa ZR 335/21, abrufbar hier) zu den luxemburgischen Vorgaben äußern (müssen). 

Für “unsere” rechtsschutzversicherungsrechtlich geprägten Verfahren bedeutet dies: die Rechtslage ist wenigstens ungeklärt. Sofern in einem Fahrzeug eine nach den europarechtlichen Vorgaben unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, bestehen hinreichende Erfolgsaussichten nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bzw. der EG-FGV. 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes am 8. Mai 2023 bleibt daher abzuwarten. Unter der Prämisse, dass das dortige Oberlandesgericht wenigstens zwei der dort behaupteten Abschalteinrichtungen nach den vorgenannten (europarechtlich geprägten) als Normen unzulässig eingestuft hat, ist nicht von einer Zurückweisung der Revision auszugehen.  

Die (verbraucherseits proklamierte) “Renaissance des Abgasskandals” scheint vor diesem Hintergrund voranzuschreiten.